in Publikumsschwund

Wissen schadet nie! – Ein Plädoyer für mehr Daten

Editorial aus „Die deutsche Bühne“, Heft 9/2022

Von Detlef Brandenburg

Die deutsche Bühne, Titelbild 9/2022

Wenn man die Vorschauen auf die Theatersaison studiert, die einem das Feuilleton so bietet, kann man nur bilanzieren: Optimistisch geht anders. Und auch wir wollen Ihnen nicht vorgaukeln, dass kein Grund zur Sorge wäre.
Längst nicht alle Vorstellungen waren ja zuletzt gut verkauft, noch nicht mal dann, wenn die 100-Prozent-Platzauslastung noch durch eine „Corona-Sitzordnung“ definiert wurde, die das erfügbare Sitzangebot um einen deutlich zweistelligen Prozentsatz reduziert. Und wenn Kommunen und Länder demnächst die Eckdaten ihrer Haushaltsjahre festzurren, werden sie angesichts stagnierender Steuereinnahmen gar nicht anders können, als nach Sparpotenzialen Ausschau zu halten. Die Kunstförderung – den Kulturpolitikern sei’s gepfiffen und den Interessenverbänden getrommelt – ist ja noch immer eine freiwillige Leistung“. Eine solche bietet sich nun mal leichter für Kürzungen an als eine, bei der die Aufwendungen gesetzlich festliegen. Und wer sich sorgt, wie er seine 80-qm-Wohnung heizen soll, mag sich ausmalen, wie sich diese Sorge bei einem eisigen Theaterhaus auswächst.
Hängen die Theater also hilflos im Netz dieser misslichen Situation? Ja und nein, wie wir alle. Ändern können wir’s nicht. Aber eine Menge tun schon. Die Theater könnten zum Beispiel die Defizite ihrer Publikumskommunikation beheben, die auch vor Corona besorgniserreend waren. Immer wieder, wenn man mit Theaterleuten spricht, kann man feststellen, wie wenig sie – und mit ihnen wir alle – über das Publikum wissen. Warum gehen die Leute eigentlich ins Theater? Was hält sie davon ab? Was ist für sie das Besondere dieser Kunstform? Worauf beruht ihre persönliche Bindung an ein Haus? Wovon hängt es ab, ob sie sich dort wohlfühlen? Dazu gibt es jede Menge Meinungen, Unterstellungen und Einzelstimmen. Aber methodisch qualifizierte, statistisch belastbare und inhaltlich aussagekräftige Untersuchungen sind Mangelware. Einzelne Häuser, zum Beispiel die Bayerische Staatsoper, machen das vorbildlich. Aber ein Gesamtbild fehlt.
Und das ist gerade in dieser Post-Corona-Krise misslich. Wir wissen nicht genau, was das Publikum vom Theater fernhält und was es motiviert, zu kommen. Und dabei geht es keineswegs darum, die Zuschauer zum fröhlichen Wünsch-dir-was einzuladen. Da bin ich der altmoddischen Meinung, dass die Theater die Entscheidung, welche Kunst die richtige fürs jeweilige Publikum ist, keinesfalls an irgendwelche Publikumsdramaturgien oder andere plebiszitäre Instrumente de-
legieren sollten. Das wissen die Theaterleute immer noch selbst am besten. Das Publikum wünscht sich, was es kennt. Die Theaterleute aber können kreieren, was es noch gar nicht gibt. Dennoch ist es von unschätzbarem Wert, möglichst genau zu wissen, für wen man kreiert. Und deshalb sollten die Theater ihr Publikum in der kommenden Saison ansprechen, befragen,
zu Diskursforen einladen, wo immer sie nur können. Denn, auch das hat uns die Coronakrise gelehrt: Wissen schadet nie!


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von Detlef Brandenburg und dem Verlag der Zeitschrift „Die deutsche Bühne“. Das Original ist erschienen in Heft 9/2022 und kann hier bestellt werden.


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