in Publikumsschwund

Werkstatistik 2023/24 erschienen

Werkstatistik 2023/24 – Deutscher Bühnenverein

Der Deutsche Bühnenverein hat soeben seine Werkstatistik für die Spielzeit 2023/24 veröffentlicht (kostenloser Download hier).

Für die Spielzeit 2023/24 werden für Deutschland ca. 20 Mio Theaterbesuche gemeldet. Die Zahlen stammen von 369 Theatern aus Deutschland. Insgesamt haben sie 438 Theater aus den deutschsprachigen Ländern gemeldet (25 Mio Besuche gesamt).

Die Besuche für Deutschland setzen sich zusammen wie folgt:

Besuchszahlen lt. Werkstatistik 2023/24.
Quelle: Deutscher Bühnenverein

Die im Frühjahr erschienene Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins bezieht sich allerdings auf die Spielzeit davor, auf 2022/23. Ein Vergleich ist daher – nicht nur aus diesem Grund – nicht möglich, da sich die Besuchszahlen der Theaterstatistik sich auf die Summentabellen der öffentlichen Theater beziehen.

Für 2022/23 hatte der Bühnenverein 14.4 Mio Besuche gemeldet, nach Abzug der Frei-, Gebühren-, Steuer- und Sonstigen Freikarten (17%) bleiben noch 11,7 Mio Besuche.

Erscheinungsweisen der Theater- und Werkstatistik; Grafik: der Autor

Die gemeldeten 20 Mio Besuche der Werkstatistik 2023/24 für Deutschland kommen aber anders zusammen. Hier werden wohl alle Theater in Deutschland, Österreich und der Schweiz abgefragt. Wer antwortet, wird aufgenommen. Wer nicht antwortet, eben nicht.

Auffällig auch, dass einige Kategorien existieren, die in der normalen Theaterstatistik nicht vorkommen (sicher aus gutem Grund, da wird seit Jahrzehnten immer wieder diversifiziert und doch muss man einigermaßen kompatibel bleiben, nicht zuletzt für die Forschung). So gibt es in der Werkstatistik z. B. die Revue. Einsamer Spitzenreiter ist hier der Friedrichstadtpalast, der als öffentliches Berliner Theater auch in der Theaterstatistik vorkommt, aber ohne die Kategorie Revue. Zuschauerzahl: 435.786, fast 15x so viel wie die Revue „Don’t Stop Believin'“ mit 30.000 Besuchen. Weiterhin gibt es den Bereich Performance, der ebenfalls in der Theaterstatistik nicht vorkommt. Spitzenreiter hier ist eine Wintergala („Winterglitzer“) in einem der Schmidt-Theater, die wahrscheinlich auch als Varieté durchgehen würde (die „Heiße Ecke“ im gleichen Haus ist ein Dauerbrenner (s.u.) und läuft in der Sparte Musical). Winterglitzer ist dort der Spitzenreiter mit 18.647 Besuchen. Platz 10 ist die vielfach skandalisierte (warum eigentlich?) Performance „Sancta“ von Florentina Holzinger mit 5.716 Besuchen.

Das Kapitel „Digitales Theater“ enthält nur noch eine Auflistung der Veranstaltungen , keine Summenbildung und keine Grafiken mehr. Darunter, nur beispielhaft, eine Hänsel und Gretel-Inszenierung der Sächsischen Staatsoper von 2006 mit 14.073 BesuchenOtello-Inszenierung der Sächsischen Staatsoper von 2017 mit 4.953 Besuchen. Wurde da live gespielt und gegen Bezahlung gestreamt? Oder wurde eine Konserve gestreamt? Müsste man hier nicht dann auch den Konzert- und Opernbereich von Arte und 3sat mit erfassen, die zahlreiche Angebote machen (aber keine Zahlen veröffentlichen). Der Bühnenverein schreibt zum Digitalen Theater im Vorwort:

In dieser Werkstatistik erfassen wir zum dritten Mal das Digitale Theater in einem ausführlichen Kapitel. Aufgrund der komplett anderen Rezeptionsbedingungen dieses neuen Genres folgt dieses anderen Regeln als die analogen Inszenierungen. Aufführungszahlen werden hier nicht erfasst, da die Zahlen nicht vergleichbar wären: Wo die einen Theater Inszenierungsaufzeichnungen für mehrere Wochen oder gar Monate jederzeit über ihre Homepage verfügbar machten, spielten andere digitale Live-Performances nach Spielplan. Statt der Zahl der Zuschauer:innen werden hier verkaufte Tickets oder Online-Registrierungen erhoben, reine Klickoder Zugriffszahlen auf frei verfügbare Angebote haben wir nicht erfasst, da diese nicht verifizierbar sind. In solchen Fällen wird demnach nur die Inszenierung ohne Zahlen aufgelistet.

Wer seit Jahren keine Zahlen meldet, ist die Stage Entertainment, die mit König der Löwen und zahlreichen anderen Erfolgsmusicals in Hamburg und Stuttgart erfolgreich ist (lt. meinen Recherchen für mein Buch 2019 ca. 3.5 Mio Tickets). Ebenfalls nicht gemeldet sind die Zahlen für die Harry-Potter-Produktion in Hamburg, die geschätzt um die 400.000 Besucher:innen anzieht.

Es werden auch die Zahlen der INTHEGA-Häuser fehlen, die überwiegend Gastspiele zeigen, sowie viele Produktionen der freien Szene, z. B. in soziokulturellen Zentren. In meinem Buch „Publikumsschund?“ habe ich eine vorsichtige Kulturstatistik der wesentlichen Akteure gewagt und komme auf ca. 60Mio Besuche pro Jahr. Sowohl die Theaterstatistik als auch die Werkstatistik des Bühnenvereins zeigen daraus nur einen Ausschnitt.

[Hinweis: Die INTHEGA plant wohl für Anfang August ihre erste eigene Besuchssstatistik seit Jahren.]

Die Top 25 der Werke mit den meisten Besuchen sieht so aus.

Quelle: Werkstatistik 2023/24

Starlight Express, das Rollschuhmusical, steht seit Jahren an der Spitze der Charts (ohne die Konkurrenz von König der Löwen und Harry Potter). 2021/22 führten die Passionsspiele Oberammergau die Liste an (Verlegung aus dem Corona-Jahr 2020). Die Karl-May-Festspiele sind ebenfalls zugkräftig, ob Winnetou oder Der Ölprinz (2021) – sie sind erfolgreich in der Spitze zu finden. Auf Platz 3 steht der Friedrichsstadtpalast in Berlin mit „Falling | In Love“, dann folgen endlich mit der Zauberflöte und Woyzeck zwei Klassiker, denen dann ein Klassiker des 21. Jahrhunderts folgt: „Die heiße Ecke“ vom Schmidts Tivoli, die ununterbrochen seit 2003 läuft. Der Rest ist keine Überraschung.

Die meistgespielten Opern bilden den üblichen Kanon ab. Es gibt einige wenige Uraufführungen, von denen erfahrungsgemäß die wenigsten von anderen Häusern aufgenommen werden.

Interessant ist das Geschehen im Kinder- und Jugendtheater. Hier gibt es eine Vielzahl von Autor:innen und viele Uraufführungen. Die meisten Besuche erreichen die Weihnachts- oder Familienstücke. Interessanterweise getrennt nach „normalen“ Werken, Uraufführungen und Stücken nach Literatur- und Filmvorlagen (die Tabellen erscheinen in dieser Reihenfolge):

Die „normalen“ Werke im Kinder- und Jugendtheater
Die Uraufführungen im Kinder- und Jugendtheater
Die Film- und Literaturbearbeitungen im Kinder- und Jugendtheater

Puppen/Figurentheater werden seit Jahren als eigenes Genre in der Theaterstatistik geführt. Diese Sparte ist eher kleinteilig. Wenn man davon ausgeht, dass die meisten Produktionen für Kinder und Jugendliche gemacht sind, ist das eigentlich eine weitere Unterabteilung des Kinder- und Jugendtheaters, wie man an den Titeln der Produktionen unschwer erkennen kann. Insgesamt gab es 380.654 Besuche.

Literatur- und Filmvorlagen im Puppen/Figurentheater

Und zu guter Letzt: In der Theaterstatistik des Bühnenvereins werden auch die Orchesterkonzerte erfasst. Sofern diese von den Theaterorchestern erbracht werden, landen sie auch in den Summentabellen in einer eigenen Sparte. Die freien Kulturorchester und die Radioorchester werden zwar aufgeführt, aber nicht in den Summentabellen aggregiert.

Insgesamt ein unübersichtliches Feld.

Deshalb ende ich mit dem Motto, dass ich meinem Buch vorangestellt hatte:

CUM GRANO SALIS

Quelle:

Werkstatistik 2023/24. Hrsg. Deutscher Bühnenverein. Kostenloser Download als PDF.

Glaap, Rainer: „Publikumsschwund?“ Kapitel 4.3: „Wer spielte was? – Die Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins“, S. 146 – 156


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