„Marketing ist Beziehungspflege. Das Berliner Ensemble, das Kunstmuseum Stuttgart und die Komische Oper Berlin wissen, wie das geht.“

Foto: Monika Rittershaus. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Komischen Oper.
Die Zeitschrift brandeins widmet regelmäßig ihre Februarausgabe dem Thema Marketing. Und fast ebenso regelmäßig schreibt der Theaterkritiker Peter Laudenbach für die brandeins, diesmal zum Thema Marketing und Kundenbindung im Kulturbereich.
Genauer versucht er zu beschreiben, warum drei Kultureinrichtungen erfolgreicher durch die Pandemie gekommen sind als andere.
Er betrachtet diese drei Einrichtungen, ihre Maßnahmen und Erfolge:
- Die Komische Oper, Berlin (KO)
- Das Berliner Ensemble und die (BE)
- Kunstmuseum Stuttgart (KS)
Laudenbach nennt fünf Grundsätze, die er genauer untersucht:
- Biete ein attraktives Programm.
- Sei ein guter Gastgeber.
- Kenne Deine Gäste.
- Sorge für Partizipation.
- Raus aus dem Haus.
1. Das Programm sei wichtig, allerdings komme das Programm vor dem Marketing, die künstlerische Produktion sei nicht marketinggetrieben, wird Susanne Moser, Intendantin der Komischen Oper, zitiert. Am BE sei die künstlerisch hochwertige Produktion „Mein Name sei Gantenbein“ nach dem Roman mit Max Frisch, ständig ausverkauft. [Anm.: Das mag auch am Schauspieler dieses Solo-Stückes liegen, dem aus vielen TV-Rollen bekannten Matthias Brandt. Während der Pandemie gab es weitere Solo-Stücke (Möwe, Die Blechtrommel, Phaidras Liebe), die ohne Krankheitsausfälle durchgelaufen sind.]
2. Alle drei Einrichtungen nähmen ihr Publikum ernst. [Anm.: Welche Kultureinrichtung würde das nicht von sich behaupten?] Während der Pandemie seien kaum Vorstellungen ausgefallen, im BE hätten teils Kolleg:innen mit dem Textbuch eingelesen, in der Oper habe man Ersatz für erkrankte Kolleg:innen eingeflogen. [Anm.: Das ist gelebte Praxis in vielen Opernhäusern. Dafür gibt es eigene Rollen-Datenbanken, die das KBB (künstlerische Betriebsbüro) für kurzfristige Einsätze konsultieren kann. Denn: eine ausverkaufte Opernvorstellung ist „kostbar“, die Erlöse liegen je nach Anzahl der Plätze im fünfstelligen Bereich, wenn jede Karte verkauft ist, darauf will und soll auch niemand verzichten. Die Website OPERABASE bietet dafür eine Besetzungdatenbank.] Auch vermeintliche Zugangshürden wie die Kleiderfrage beim Opernbesuch seien längst gelöst: „Der Dresscode und die Zugangshürden im Berghain sind deutlich höher als bei uns“, sagt André Kraft, Marketingleiter der KO. Interessant ist die Aussage, dass ein Viertel der Besucher:innen zum ersten Mal käme und deshalb besonderen Informationsbedarf habe, der durch Einführungen gedeckt werde. [Anm.: Möglicherweise ist das Musiktheater eher für Touristen geeignet, da es keine Sprachbarriere gibt wie im Schauspiel UND die Komische Oper über Bildschirme in den Sitzlehnen die Operntexte in mehreren Sprachen anzeigt.]
3. Alle Häuser setzten auf Kundenbefragungen und die Auswertung der Ticketkäufe, um mehr über ihre Besucher zu erfahren und zielgerichteter zu informieren [Anm.: Das BE ist Teil des Berliner Kulturmonitors KULMON, eine laufende Besucherbefragung nicht nur für Berliner Kultureinrichtungen]. Das BE informiere seine Kunden regelmäßig über neue Angebote, die zu den bisherigen Besuchen passten [Anm.: Aktuelle Ticketingsysteme bieten diese Möglichkeiten als Teil des Funktionsumfangs an. Wird seit Jahren neben dem BE von vielen Einrichtungen genutzt.]
Da die KO wisse, dass ca. 11% der Besucher:innen einen Migrationshintergrund hätten, schalte man gezielt Werbung bei einem deutsch-türkischen Radiosender. Und man habe erkannt, dass die beste Werbung von zufriedenem Publikum stamme, daher gebe es seit Jahren einen Selfie-Point mit der Aufschrift „Wer in die Oper geht, küsst besser!“
4. Alle Einrichtungen bemühten sich um eine „größtmögliche Öffnung“ (Oliver Reese, BE Intendant). Es gebe Probenbesuche, Stückeinführungen und Workshops, in denen Besucher:innen aktiv Teile der Stücke selbst spielten. Die KS sei mit einem Bus in den Stadtteilen unterwegs mit einem Bus mit Programmangeboten für Schüler:innen. Der werde allerdings heute noch überwiegend von Gymnasien geordert, man arbeite an einer weiteren Diversifizierung.
5. Da Kunsttempel nicht jedermann/frau ansprächen, gelte es, die Menschen in den Stadtteilen zu erreichen. Die KS sei mit einem Bus unterwegs (s.o.), die KO zeige mit einem kleinen Ensemble Ausschnitte aus dem Repertoire, vor der Schließung des Flughafens Tegel gelegentlich dort, aber auch in Second Läden u.a.. Mit dem Opern-Dolmus (Bezeichnung für ein türkisches Sammeltaxi) sei man unterwegs mit halbstündigen Auftritten in Altersheimen und Schulen. Mit diesem SELAM-Programm erreiche man ca. 20x im Jahr je ca. 30 Menschen, die sonst eher keine Opernberührung hätten. Wer aufgrund solcher Kontakte einen Opernbesuch „ausprobieren“ wolle, könne über den Förderkreis der Komischen Oper Berlin e.V. eine kostenlose Eintrittskarte für einen Erstbesuch bekommen.
Zu den Zahlen im Beitrag
Die angegebenen Besuche(!)zahlen (die Anzahl der Besucher:innen ist nicht bekannt) im Eingangsteil des Beitrag sind nicht richtig zielführend. Fürs BE werden Zahlen für das vergangene Jahr genannt, für die KO für die erste Hälfte der aktuellen Spielzeit 2022/23. Die Theater und Opernhäuser veröffentlichen i.d.R. Saisonzahlen, keine Jahreszahlen, das macht Vergleiche schwierig, um so mehr, als das teils Prozente (87% für die KO für die erste Hälfte der Spielzeit), teils absolute Zahlen genannt werden (160.000 verkaufte Eintrittskarten fürs BE in 2022).
Die KO macht auf Nachfrage folgende Angaben zu den Zahlen:
In dieser Spielzeit (also September bis Dezember 2022) haben wir eine Auslastung von etwa 87 % erreicht (gegenüber 84 % in 2021 und 86 % in 2019).
Auf Nachfrage in einer E-Mail der Komischen Oper
Das BE schreibt auf Nachfrage:
… aufs Kalenderjahr hatten wir die 90%, in dieser Saison (seit August) sind wir bei rund 96% …
Auf Nachfrage in einer Nachricht von Ingo Sawilla, Leiter Kommunikation und Marketing am BE
Zu den BE-Zahlen verweise ich auch auf diesen Blog-Beitrag von Ingo Sawilla zu den Januar-Zahlen.
Das Kunstmuseum Stuttgart hat folgende Zahlen veröffentlicht:
| 2019 | 2022 | Steigerung | |
| Kunstmuseum Stuttgart | 180.380 | 199.800 | 110,77% |
Laudenbach nennt dagegen „knapp 190.000“ Besuche für 2022, das würde die Steigerung gegenüber 2019 halbieren.
Mein Fazit
Die beschriebenen Einrichtungen legen großen Wert auf Besucherbindung, gehen z.T. raus aus ihren Kunsttempeln und ermöglichen mehr Kontakt mit dem Publikum. Das ist sicher absolut richtig und wichtig.
Das tun allerdings auch viele andere Kultureinrichtungen. Wenn diese nicht so erfolgreich sind wie die hier beschriebenen, muss es andere Gründe geben. Diese haben möglicherweise mit dem Elefanten im Raum zu tun, über den keiner gerne spricht: die Kunst.

Quelle: Wer in die Oper geht, küsst besser! brandeins 2/2023 (Paywall)
Weiterführende Literatur und Webseiten
- Statistisches Jahrbuch Berlin 2020 mit Besuchszahlen für die Saison 2019/20 einschließlich.
- Theaterstatistik. Aktueller Band: Spielzeit 2019/20. Deutscher Bühnenverein. Die Ausgabe 2020/21 war für den 31.1.2023 angekündigt, ist aber zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Beitrags noch nicht erschienen.
- Berliner Ensemble, Inszenierungen
- Komische Oper, Produktionen // Komische Oper, Instagram
- Kunstmuseum Stuttgart, Ausstellungen
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