
Durch einen Zufallsfund eines Freundes beim Aufräumen wurde mir die Januarausgabe 1996 (gegründet 1976) der Zeitschrift BREMER zugänglich.
Die berichtete unter dem Titel „Zuviel Theater, zuwenig Geld?“ über eine Ansage der damaligen Kultursenatorin Bringfriede Kahrs, das Bremer Theater müsse 3,5 Mio DM einsparen, bei einem Etat von damals ca. 40 Mio DM.
Der Intendant Klaus Pierwoß war zu der Zeit gerade ein Jahr im Amt, über Erfolg oder Misserfolg ließ sich noch wenig sagen. Es ging auch nicht um ihn, sondern um eine Strukturreform, wie sie im Interview sagt:
Eine Strukturdebatte ist dringend notwendig. Nirgendwo bei großen Stadttheatern in der Republik gibt es umgesetzte Strukturreformen. Ich habe mir das für Bremen vorgenommen und einen Beschluß erwirkt, der übrigens einstimmig im Aufsichtsrat des Bremer Theaters angenommen worden ist, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die eine Strukturreform prüfen soll.
Angedacht war damals wohl auch, eine der Sparten zu schließen, um Geld zu sparen. Pierwoß sagte dazu:
Ich werde kein Zweisparten-Haus leiten. Der große Steuerfresser ist eine Polemik, die jeder sachlichen Grundlage entbehrt Wir sind zwar in Bremen das teuerste Theater, unter den vergleichbaren Bühnen in Deutschland gehören wir aber zu den Dreispartenhäusern mit der niedrigsten Finanzierung. Das ist Realität. Wir haben der Senatorin sehr viel Vergleichsmaterial vorgelegt. Sie mag uns bloß nicht mit anderen Städten vergleichen, weil in einer derartigen Vergleichsskala Bremen erschreckend schlecht dasteht. Deswegen vergleicht sie uns mit den ‘Freien Gruppen’. Das ist hahnebüchen, weil jeder weiß, daß – um ein Beispiel zu nennen – die Shakespeare Company zwar Sprechtheater macht, aber nicht wie wir darüberhinaus noch Tanztheater, Musiktheater (mit Chor und Orchester) und Kinder- und Jugendtheater.
Es gab wohl auch einen offenen Streit der freien Szene mit dem Theater über die Zuschüsse. ausgetragen über den Mitgründer der Shakespeare Company, Norbert Kentrup. Auch über diesen Streit berichtete die taz. In der Ausgabe vom 16.1.1996 hieß es:
Nach den Kontroversen, die in den letzten Tagen um das Gerücht ausgebrochen waren, der Shakespeare-Chef Norbert Kentrup wolle im Theater am Goetheplatz Intendant werden, hißte man jetzt die weiße Flagge. So wichtig schien Norbert Kentrup die weiße Weste, daß er zum Pressekonferenz zwei Beglaubigungsschreiben beibrachte, die seine Unschuld beteuern und die ihm unterstellten Machtgelüste zerstreuen sollten. Die Ex-Kultursenatorin Helga Trüpel und Bringfriede Kahrs unterzeichneten eine Erklärung, nach der sich Kentrup nie als Intendant beworben habe.
CDU und SPD kündigten an, ihren eigenen Beschluss der Sparvorgabe zu kippen (immer noch in der taz vom 16.1.96):
Das Bremer Theater darf in diesem Jahr wohl doch mit den vereinbarten Subventionen rechnen. Zur Zeit bemühen sich die Kulturfachleute der Koalition um einen Ausweg, mit dem der drohende Vertragsbruch zwischen Stadt und Theater vermieden werden kann. Demnach soll das Sparkonzept, auf das sich CDU und SPD gerade vor vier Wochen geeinigt hatten, nach Möglichkeit wieder gekippt werden: Man wolle versuchen, „weitestgehend einzulösen, was im Vertrag steht“, erklärte Carmen Emigholz, die neue SPD-Sprecherin in der Kulturdeputation, gestern auf Anfrage der taz. Klar spricht sich bereits ihre CDU-Kollegin Elisabeth Motschmann für eine Rücknahme der Sparquote von drei Prozent aus: „Unsere Deputierten sind sich in diesem Punkt ganz einig.“
Damit richten sich die Mitglieder der Kulturdeputation vor allem gegen die Strategie der „Umverteilung“ in der Bremer Theaterlandschaft, die bisher von der Kultursenatorin Bringfriede Kahrs (SPD) angestrebt wird.
Pierwoß äußerte sich im letzten Absatz des Beitrags aber schon versöhnlich:
„Wenn wir uns treffen, haben wir die Kalaschnikows nicht mehr aufeinander gerichtet.“
Am 20.1.96 folgt ein langes Interview mit Kentrup und Pierwoß, in dem Pierwoß klar sagt, dass er bereits die nächste Spielzeit plane, aber:
Wir planen im Moment im Musiktheater die Spielzeit 1997/98. Ich gebe zu, ich lebe in einer gewissen Schizophrenie. Ich plane so, als wenn der Vertrag erfüllt wird, und weiß doch, daß es ein jähes Ende geben kann. Damit muß ich jetzt leben.
Kentrup: Das muß man nicht so tragisch sehen. Was Du jetzt erlebst, das erleben wir seit Jahren. Man ist immer voll da und gleichzeitig auf dem Absprung.
Bei Klaus Pierwoß‘ Abschied 2006 schrieb die taz:
Acht Senatoren habe er in zwölf Spielzeiten erlebt, sagt Pierwoß verbittert, wie soll da eine vertrauensvolle Basis für Theaterpolitik entstehen? Mit wem überhaupt? Die letzten vier Kultursenatoren haben es zusammen nur auf sechs Theaterbesuche gebracht, will sagen: Die Kultursenatoren kennen nicht, was sie finanzieren sollen. Am Geld jedenfalls liegt es nicht – für die Unterhaltungsindustrie im Musicaltheater ist genug da.
Die Entwicklung der Besuchszahlen des Bremer Theaters habe ich einem Beitrag über die Metropolregion Nord-West (im Vergleich mit Oldenburg und Bremerhaven) dargestellt, hier eine der Grafiken. Mit einem Schwund von ca. 50% steht das Bremer Theater aber nicht alleine dar, viele andere Theater sind ähnlich davon betroffen (s. mein Buch „Publikumsschwund?“).

Hinweis: die Prozentzahlen beziehen sich auf die Abweichung zu 1966/67.
Der gesamte Blogbeitrag findet sich hier: https://publikumsschwund.wordpress.com/2025/05/07/metropolregion-nord-west-theaterstatistik/
Entdecke mehr von Publikumsschwund
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.