in Publikumsschwund

„the Place to BE“ – Eine Analyse der Berliner Sprechtheater als Studienarbeit

Dreht sich auf dem Dach des Berliner Ensembles.
Foto: Geoprofi Lars, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

Es geht hier heute nicht um Publikumsschwund, sondere eine herausragende Studienarbeit, die besondere Beachtung verdient. Die Arbeit ist sehr vielfältig, dieser Beitrag kann daher nur einige Aspekte behandeln.

Fünf Studierende der Universität der Künste in Berlin haben mit ihrem Buch „the Place to BE“ eine beeindruckende Analyse der Berliner Sprechtheaterlandschaft veröffentlicht.

Der Schwerpunkt der Analyse liegt auf dem Berliner Ensemble, das wegen des Neubaus einer weiteren Spielstätte und der Umgestaltung des Umfelds zum BE-Quartier den Anlass für diese Arbeit bot.

Ihr Ziel im Rahmen ihres Kommunikationsprojekts:

  • das BE-Quartier (inkl. neuer Spielstätte) weiterzuentwickeln
  • die Bekanntheit des BE und des Quartiers in der Bevölkerung, auch bei Nicht-Besucher:innen zu steigern und
  • das BE als einen offenen Begegnungsraum zu kommunizieren.
Diese und alle weiteren Grafiken stammen aus „the Place to BE“.
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Autor:innen

Das mit 336 Seiten sehr umfangreiche Buch in ungewöhnlich kreativer Gestaltung widmet sich in mehreren Kapiteln der Geschichte des BE, beschreibt Begriffsdefinitionen und Zielgruppen, stellt eigene und fremde Forschungsergebnisse vor und liefert zum Schluss eine Fülle von Anregungen für Raumkonzepte, Begegnungsstrukturen und Kampagnen. In zwei ausführlichen Interviews, eins mit dem Intendanten Oliver Reese, eins mit dem Leiter Kommunikation, Ingo Sawilla, bietet es einen interessanten Einblick in die Welt des Berliner Ensembles.

Während das BE ausführlich untersucht wird, dienen diese weiteren Häuser vor allem bei den digitalen Angeboten als Benchmark (alle Häuser werden in Porträts vorgestellt):

  • Schaubühne
  • Maxim Gorki Theater
  • Deutsches Theater
  • Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Die Umfragen

Die erste beschriebene Umfrage richtet sich an Besucher und Interessierte des Berliner Ensembles. Der Fragebogen wurde über die Kommunikationskanäle des BE verteilt, deswegen versteht sich ein gewisser Bias zugunsten des BE von selbst. Die Befragung lief vom 23.01. – 06.02.2023, beteiligt haben sich 1.496 Menschen (die Anzahl der angeschriebenen Empfänger wird nicht genannt).

Erstaunlich ist die demografische Verteilung, darunter:

  • 36% Rentner:innen
  • 33% Angestellte
  • 5% Studenten:innen und kaum Schüler:innen

Eine zweite Umfrage betrachtet das Umfeld der Studierenden. Hier geht es um Kommunikationskanäle und Interessenlagen. Die Umfrage hat mit 298 Menschen deutlich weniger Teilnehmer:innen, der Befragungszeitraum ist mit nur einer Woche im Januar auch kürzer.

Nicht überraschend daher das Ergebnis bei der Altersstruktur: 73% der Befragten stammen aus der Altersgruppe  zwischen 21 und 30 Jahren.

Sehr überraschend allerdings ist die Erkenntnis, dass Angebote der freien Szene kaum genutzt werden und alle Interessen sich auf die fünf untersuchten Häuser konzentrieren.

Ein weitere Frage widmet sich der Frage der digitalen Zugänglichkeit des BE und vergleichbarer Häuser in Berlin.

Überraschend auch hier:

„Insbesondere die sozialen Medien spielen als Informationskanal über weiterführende Angebote aktuell eine untergeordnete Rolle (10 %) im Vergleich zu den starken Informationskanälen Newsletter (66%), der Information bei einem Besuch des Hauses (52%) und der Webseite (47%).“

Das ist umso überraschender, als das gefühlt viel Energie in die Bespielung der Social-Media-Kanäle investiert wird, auch wenn offensichtlich die Resonanz eher verhalten ist und auch ein ROI[1] wohl nicht gemessen wird (also die Frage: wie viele Tickets verkaufen die digitalen Aktivitäten).

Mehr oder weniger regelmäßig werden diese Social-Media-Kanäle bespielt:

  • Instagram
  • Twitter
  • YouTube
  • Facebook

Sehr hilfreich ist die Aufschlüsselung der Follower, Beiträge, Likes und Videos über die diversen Plattformen, hier als Beispiel die Daten für Instagram:

Bei Twitter zeigen sich sehr große Unterschiede in der Bespielung. Während das BE in den ersten drei Monaten des Jahres 178 Tweets abgesetzt hat, haben die anderen Häuser nur im niedrigen zweistelligen Bereich getwittert, die Volksbühne gar nicht. Die Autor:innen der Studie konstatieren in ihren Schlussfolgerungen zum Social-Media-Einsatz:

Fazit

Die fünf Studierenden haben eine herausragende Studienarbeit mit Beispielcharakter vorgelegt. Die Analysen stellen fast schon eine Blaupause für interessierte Häuser dar, nicht nur in Berlin. Insbesondere die Erkenntnisse zum Einsatz und Nutzen von Social Media sind erstaunlich. Hier müssen m.E. auch die Häuser selbst intensiv einsteigen, um Kosten und Nutzen miteinander abzugleichen.

Nicht vorgeschlagen, aber sicher sinnvoll: Eine permanente Erfolgsmessung der eingesetzten Mittel und der Ticketverkäufe mit Hilfe einer digital Scorecard oder eines Dashboards, das alle Zahlen sammelt und für ein schnelles Verständnis grafisch aufbereitet (s. den Hinweis auf das Projekt Theaterlytics in KM Magazin #172).

Die Studierenden können bei Fragen über diese E-Mail-Adresse kontaktiert werden: kommprobe@gmail.com.

Quelle: „the Place to BE“. Ein Kommunikationsprojekt von Stella Adler, Titus Heyme, Emma Neugebauer, Mathilde Stübner und Pia Scheffler. 336 Seiten. Berlin, 2023


[1] ROI = Return on Invest


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