in Publikumsschwund

Publikumsschwund in Österreich: ein Fünftel ist verschwunden

Kaffeehauskultur: das Hawelka in Wien (nicht Bestandteil der vorliegenden Untersuchung)
Quelle: Sniper Zeta, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

Die österreichische Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) hat eine Untersuchung zu Kulturbesuchen in Österreich durchführen lassen, deren Ergebnisse Anfang Mai 2023 in Wien verkündet wurden.

Daniel Schönherr und Harald Glaser vom Forschungsinstitut SORA haben erhoben, ob und wie die Corona Pandemie möglicherweise Publikumsschwund befördert hat. Schönherr stellt fest, dass sich diese Vermutung als „erstaunlich evidenzlos“ erwiesen hätte.

Befragt wurden 2.000 Menschen ab 15 Jahre zwischen dem 5. Dezember 2022 und dem 15. Januar 2023 (je 1.000 telefonisch oder online, nur deutschsprachig).

Achtung: Alle Angaben zur Häufigkeit von Kulturbesuchen beruhen auf Selbstauskünften der Befragten.

Fangfrage: Wie viele Kultureinrichtungen in welchen Sparten haben Sie 2022 (oder gar 2019) besucht?

Ich selbst müsste dazu sehr ausführlich meinen Kalender konsultieren – sicher kein Thema für eine telefonische Befragung bei einer geschätzten Besuchszahl von ca. 80-90 in 2019.

Das Fazit der Untersuchung

„Ergebnis: Je nach Sparte (vom Opernbesuch bis zur Denkmalbesichtigung) haben sich zwischen 11 und 18 Prozent der Befragten von der außerhäuslichen Veranstaltungsteilnahme zurückgezogen. Für heuer planen sie aber wieder mehr Besuche.“

11% – 18% Rückgang ist jetzt nicht direkt „evidenzlos“, finde ich.

18% der Befragten zählen sich lt. Studie zu den „regelmäßigen Besucher*innen“ und 4% zu den „intensiven Kulturbesucher*innen“, Zahlen, die durchaus damit korrespondieren, was Armin Klein in seinem Buch „Besucherbindung im Kulturbetrieb“ (2003) beschreibt. In einer Befragung von Gruner+Jahr von 10.000 Bundesbürger zählte 1% zu den „sehr häufigen“ und 3% zu den „häufigen“ Konzertbesuchern – damit sind wir wieder bei den 4% intensiven Kulturbesuchern weiter oben.

Allerdings:

„41% aller Menschen sagen, sie hätten derzeit zu viele andere Sorgen, um sich für Kunst und Kultur zu interessieren, ca. genauso viele (39%) geben an, dass ihnen Kunst und Kultur in den letzten Jahren immer unwichtiger geworden sei. Die Hälfte aller Menschen war in mindestens einer der zwölf abgefragten Sparten „etwas“ seltener, 32% „sehr viel“ seltener zu Besuch als noch 2019.“

Der russische Angriff gegen die Ukraine 2022 und die damit verbundene Inflation haben für viele Menschen die Prioritäten in ihrem Leben verschoben.

Der insgesamt sehr lesenswerte Bericht diskutiert ausführlich das Thema kulturelle Bildung, die vielerorts fehlt (eine Diagnose, die nahtlos auch auf die Bundesrepublik Deutschland angewendet werden kann) und kulturelle Teilhabe, die in großen Teilen von der kulturellen Bildung und vom damit verbundenen kulturellen Kapital (Bourdieu) abhängt.

Zur Überraschung der Verfasser hat der Besuch von kulturellen Veranstaltungen hat in Österreich seit 2003 zu 2023 stark zugenommen, von 12% auf 22% der Bevölkerung (gleich ca. 423.000 mehr Menschen).

Die Ergebnisse

Unterschiede im Besuch zwischen Männern und Frauen lassen sich nicht erkennen, interessanterweise auch nicht zwischen Menschen mit oder ohne migrantischem Hintergrund. Erwartungsgemäß gibt es große Unterschiede beim Kulturbesuch bei der Bildung, wie die folgende Grafik zeigt:

Quelle: Endbericht – Kulturelle Beteiligung in Österreich. Besuch von Kulturveranstaltungen, 2023

Mit Blick auf die verschiedenen kulturellen Sparten haben sich folgender Ergebnisse gezeigt:

Quelle: Endbericht – Kulturelle Beteiligung in Österreich. Besuch von Kulturveranstaltungen, 2023

19% der Befragten haben überhaupt keine Kulturveranstaltung in einer der genannten Sparten besucht. 81% schon. Spitzenreiter waren Kinos, historische Denkmäler und Museen. Bei Theatern stieg der Nichtbesuch schon auf 73%, bei Klassikkonzerten auf 81% und bei Opernaufführungen auf 85%.

Gratisbesuche
Gratisbesuche sind für viele Besucher:innen von großer Bedeutung   Die Studie arbeitet heraus, dass Gratisbesuche 29% aller Kulturbesuche aus. An der Spitze stehen hier Lesungen mit 54%, Denkmäler mit 49%, Oper folgt später mit 25%, Theater nur noch mit 20%. Die Autoren der Studie schätzen, dass die kulturelle Teilhabe von 81% auf 75% fallen würde, sollten Gratisangebote wegfallen. Die Unterschiede in der Nutzung unterscheiden sich sehr anhand der Einkommensgrenzen.

Die Studie unterscheidet vier Besuchsgruppen anhand ihrer Besuchshäufigkeit:

  1. Nicht kulturell Interessierte (19%)
  2. Periphere Kulturbesucher:innen mit 7 Kulturbesuchen (2 davon gratis) (59%)
  3. Regelmäßige Besucher:innen mit 24 Besuchen (18%)
  4. Intensive Kulturbesucher:innen mit 57 Kulturbesuchen, davon 22 gratis (4%)
Quelle: Endbericht – Kulturelle Beteiligung in Österreich. Besuch von Kulturveranstaltungen, 2023

Die Veränderung der Teilnahme an Theaterbesuchen wird anhand verschiedener Merkmale ausdifferenziert:

Quelle: Endbericht – Kulturelle Beteiligung in Österreich. Besuch von Kulturveranstaltungen, 2023

30% der Befragten gaben an, weniger Interesse am Theater zu haben als früher, 30% müssen sparen, 18% gehen seltener, weil ihnen das Programm nicht gefällt. Allerdings sind es nur noch 44 Befragte, die sich hierzu auch inhaltlich äußern, das ist statistisch nicht relevant, wie die Autoren anmerken.

Bei den klassischen Konzerten ist aus der Gruppe der besonders häufigen Konzertgänger vor allem die Gruppe der über 75jährigen deutlich zurückhaltender: 26% haben ihre Konzertbesuche eingestellt (Drop Out) (beiden Theaterbesuchen lag der Anteil nur bei 19%, bei Opernbesuchen liegt der Anteil bei 27%).
[Anm.: Allerdings stellt sich hier die Frage, wie statistisch auffällig diese Zahlen sind, d. h. wie viele Menschen gehören hier absolut zu dieser Gruppe.]

Die Drop Outs werden gesondert untersucht: es wird unterschieden zwischen denen, die 2022 von Besuchen abgesehen haben und die sich für 2023 wieder Besuche vorstellen können sowie denen, die auch in 2023 keine Kulturbesuche machen wollen:

Quelle: Endbericht – Kulturelle Beteiligung in Österreich. Besuch von Kulturveranstaltungen, 2023

Ab Oper oder Operette abwärts (in der Grafik) liegt die dauerhafte Drop Out Rate bei 13% im Schnitt. Das sind aber Absichtserklärungen. Ob und wie die Befragten sich tatsächlich in 2023 bisher verhalten haben bzw. bis zum Ende des Jahres verhalten werden, wird nicht aufzuklären sein. 13% sind aber so oder so signifikant – sowohl für die Platzauslastung als auch für die finanzielle Auslastung aller genannten Sparten von der Oper bis zum Musical. Die Autoren der Studie schreiben dazu selbst:

„Die Befragten wurden im Rahmen der Interviews auch um eine Einschätzung gebeten, ob sie 2023 (die Interviews fanden im Dezember 2022 und Jänner 2023 statt) häufiger, seltener oder gleich häufig wie 2022 Kulturveranstaltungen besuchen werden. Dass diese Art der Selbsteinschätzung keine verlässliche Prognose über die weitere Entwicklung der kulturellen Beteiligung in Österreich zulässt, zeigt sich bereits daran, dass zwischen 10% und 16% der Befragten diese Frage nicht für sich beantworten konnten. Zudem muss an dieser Stelle erneut festgehalten werden, dass das Ausmaß der kulturellen Teilhabe wesentlich von gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen abhängt, die aus derzeitiger Sicht kaum vorherzusagen sind. Insofern sind die folgenden Ergebnisse nicht als Prognose zu interpretieren, sondern als Willensbekundung, als Vorhaben, Überlegung und Wunsch der Befragten zu Beginn des Jahres 2023.“

Im letzten Kapitel beschäftigt sich die Studie noch einmal ausführlich mit kultureller Teilhabe und ihren Voraussetzungen und macht Vorschläge, wie Kulturbesuche gestärkt werden können.

Zusammenfassung

Die Studie diskutiert ausführlich die kulturelle Teilhabe für viele kulturelle Sparten in Österreich anhand verschiedener Merkmale. Sie zeigt auf, dass sich ein signifikanter Teil der Bevölkerung von kulturellen Besuchen, darunter vor allem Menschen über 75 Jahre, dauerhaft verabschiedet hat.

Die Studie konstatiert für einen Teil der Sparten:

„Im Schnitt sagt rund ein Fünftel der bisherigen Besucher*innen, dass sie 2023 vermutlich seltener Galerien, klassische Konzerte, Lesungen, Tanzaufführungen und Opernaufführungen besuchen werden.“

Quellen:


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