in Publikumsschwund

MATTHIAS HARTMANN: Warum eine Pistole auf der Bühne nicht schießt

Intendant in Bochum, Zürich und Wien. Gestolpert über eine Finanzaffäre an der Wiener Burg, in die er hinein gestolpert ist und an der er gänzlich unschuldig war (Freispruch).

Im ersten Kapitel schreibt er über Publikum:

Aber es gehen immer weniger Menschen ins Theater, seit Jahrzehnten schon, der Lockdown hat das Ganze nicht einfacher gemacht. Die Menschen kamen begeistert zurück in die Fußballstadien, sie gingen wieder ins Konzert, in die Oper und in Museen, als wäre eine große Seelennot von ihnen abgefallen, aber die Theater taten sich schwer. Liegt’s an Social Media? Sitzen alle vor Netflix? Was passiert, wenn das so weitergeht? Ist es dann vorbei mit dem Theater? Kann schon sein. So wie wir es kennen jedenfalls.

Dann spricht er mir aus dem Herzen, wenn er über das aktuell vorherrschende Gesinnungstheater schreibt:

Das Problem ist das Theater der Wohlmeinenden. Für sie ist die gute Absicht schon der Beweis für Qualität. Wer gesellschaftliche Missstände adressiert, produziert kostbare und bedeutende Beiträge zum öffentlichen Diskurs. Das Theater der Wohlmeinenden und das Publikum der Wohlmeinenden sind sich einig, dass Machtmissbrauch und Korruption hochaktuelle, die Gesellschaft belastende Themen sind. Aber sind gute Romane vielleicht deswegen spannend, weil ich als Leser keine schnellen Antworten bekomme, sondern herausgefordert werde, die unterschiedlichsten Standpunkte anzunehmen, auch wenn es noch so schmerzt, sich plötzlich mit dem Teufel zu identifizieren? Bei Shakespeares Richard III. hat das auch schon funktioniert. Die modernen Serienerzählungen haben daraus eine Kultur gemacht. Walter White in Breaking Bad als Drogendealer und Frank Underwood als korrupter amerikanischer Präsident in House of Cards sind Schurken, aber ich will, dass sie gewinnen. Das fordert mich heraus, macht mich zu einem mündigen Zuschauer, der seinen moralischen Kompass immer wieder neu ausrichten muss. Das gute Theater diskutiert, bespricht Kontroversen, schafft Paradoxien, es führt ins Ungewisse, macht das Publikum gleichzeitig orientierungslos und mündig, weil es herausgefordert wird, eigene Entscheidungen zu treffen, und weil es mit seinen Entscheidungen zuweilen im Stich gelassen wird.

Das gute Theater schafft Perspektiven. Weder sollte Theater dem Publikum erzählen, wie und was es zu denken und zu meinen hat, noch ist der Inhalt dessen, was Theater erzählt, ein Parameter für die Qualität der Aufführung.

Und das war nur aus der kostenlosen Leseprobe…

Für einen tieferen Einblick und mehr Perspektive empfehle ich die Rezension auf nachtkritik.de von Martin Thomas Pesl.

Quelle:

https://www.beneventopublishing.com/ecowing/produkt/warum-eine-pistole-auf-der-buehne-nicht-schiesst-2/ (Red Bull Press)


Entdecke mehr von Publikumsschwund

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Schreibe einen Kommentar

Kommentar