
Quelle: Mein Blogbeitrag https://publikumsschwund.wordpress.com/2024/12/17/kuhne-oper-in-hamburg/ (17.12.2024)
Pressemitteilung einer offenen Gruppe von Wissenschaftler*innen mehrerer Hochschulen
24. November 2025
Die Kühne-Oper, die Phase Null oder: Die Kunst, nicht (vorschnell) zu servieren
Warum wir in Sachen Hamburger Hafenoper ein Moratorium und eine Enquete-Kommission brauchen.
Wir fordern die Einhaltung einer prozeduralen Rationalität bei der Entscheidungsfindung auch bei der Umsetzung von Stiftungsbauten. Ein externer Mäzen entbindet die Stadt nicht von ihrer Verantwortung, eine ordnungsgemäße Bedarfsprüfung und Machbarkeitsstudie unter Einbeziehung von Zivilgesellschaft und Wissenschaft durchzuführen. Wir rufen deshalb die Hamburger Bürgerschaft auf, innezuhalten und vor ihrer Entscheidung über Errichtung und Ausgestaltung der Hafenoper eine Enquete-Kommission einzusetzen.
Die zu Jahresbeginn verkündete Absicht, den Bau einer neuen Oper in der HafenCity zu errichten und die kürzlich erfolgte Vorstellung des Siegerentwurfs haben einen Prozess beschleunigt, in dem zentrale Fragen bisher ungeklärt geblieben sind. Diskutiert wird mehr das Wie als das Ob, mehr die konkrete Machbarkeit des Entwurfs als dessen Sinnhaftigkeit angesichts der Erfordernisse seitens der Stadt, des Theaterpublikums oder auch der städtebaulichen Entwicklung des Hafengebietes.
Die Stadt Hamburg steht kurz davor, Entscheidungen von erheblicher künstlerischer, städtebaulicher und erinnerungspolitischer Tragweite zu treffen. Wo ein demokratischer Prozess zu erst die Notwendigkeit eines neuen Operngebäudes geprüft und dessen Ort in Abwägung aller Vor- und Nachteile verschiedener Lösungen festgestellt hätte, werden im Fall der Baakenhafen Oper angesichts der Aussicht auf eine Großspende alle gebotenen Abwägungen unterlassen und die normalen Abläufe außer Kraft gesetzt.
Wir, eine offene Gruppe von Wissenschaftler*innen, die sich mit Architektur, Erinnerungspolitik, Städtebau und Theater befassen, haben uns deshalb dazu entschlossen, mit der Forderung nach einem Moratorium und der Einrichtung einer Enquete-Kommission an die Öffentlichkeit zu gehen, um die relevanten fachlichen Expertisen systematisch einzuholen und abzuwägen sowie die prozedurale Rationalität bei der Entscheidungsfindung sicherzustellen.
Phase Null: Was vor Beginn der Planung zwingend geklärt werden muss
In der Bauplanung für Theaterneubauten hat es sich als unerlässlich erwiesen, eine Phase Null einzulegen, bevor mit der konkreten Planung begonnen wird. In dieser Phase müssen alle relevanten Fragen eines komplexen städtischen Gemeinwesens aufgearbeitet werden. Dazu gehören hier insbesondere:
1. Bedarfsanalyse unter Einbeziehung der rückläufigen Zahl von Opernbesuchen.
Seit Mitte der 1960er Jahre hat die Hamburgische Staatsoper – wie sämtliche Opernhäuser in Deutschland – kontinuierlich an Theaterbesuchen verloren. Lag die Anzahl der Besuche am Standort der Hamburgischen Staatsoper 1966/67 laut Bühnenvereins statistik insgesamt (Oper plus Tanz) noch bei 493.000, ist sie bis zur letzten Vor Corona-Spielzeit 2018/19 kontinuierlich auf 333.000 abgesunken, die der reinen Opernbesuche sogar von 427.000 auf 183.000, das ist ein Rückgang von 57 Prozent.
2. Technische Erfordernisse für das moderne Musiktheater
Mit Blick auf aktuelle Entwicklungen in Oper und Musiktheater muss das Missverhältnis zwischen den für die Allgemeinheit verbleibenden Kosten der „geschenkten Oper“ einerseits und ihrer Funktionalität andererseits hervorgehoben werden. Aktuelles Musiktheater braucht weniger eine reine Guckkastenbühne, als vielmehr hochflexible und multifunktionale Räume.
Es ist gut möglich, dass der Gewinner-Entwurf der Bjarke Ingels Group äußerlich unter Gesichtspunkten des Städtemarketings funktioniert. In seinem Inneren, als monofunktionales Gebäude, dessen Funktionalität sich aus den Theatervorstellungen der Gründerzeit ableitet, verkennt er aber die Bedürfnislagen heutiger Theaterschaffender.
3. Fragen der Nachhaltigkeit
Die Planungen für einen Opernneubau sind mit den aktuellen Forderungen nach Bestandserhalt und nachhaltiger Ertüchtigung vorhandener Bausubstanz nicht vereinbar. Allein der CO2-Fußabdruck des für das Opernhaus erforderlichen Betons steht im Widerspruch zu den Forderungen des jüngsten Hamburger Volksentscheids, demzufolge die Freie und Hansestadt bis 2040 klimaneutral werden soll.
Unzureichend einbezogen wurden bisher auch die Kosten für Erhalt und Sanierung des bestehenden Opernhauses an der Dammtorstraße: Die Freie und Hansestadt bleibt für die Instandhaltung der denkmalgeschützten Immobilie verantwortlich. Diese Kosten – nach aktuellen Kalkulationen ein dreistelliger Millionenbetrag – sind durch eine Vermietung nicht zu erwirtschaften. Die Stadt übernimmt somit dauerhaft die finanzielle Verantwortung für den baulichen Unterhalt zweier kostenintensiver Spielstätten.
4. Oper und Stadtentwicklung
Der Opernneubau soll erkennbar dazu beitragen, die Hafencity als High-End-Wohngebiet weiter aufzuwerten. Wie dies sich aber mit einer die gesamte Stadt umfassenden Stadtentwicklungsplanung vereinbaren lässt, bleibt unklar. Das Opernhaus am Baakenhöft zu bauen, statt dort etwa sozialen Wohnungsbau einzuplanen, verstärkt den Aspekt sozialer Exklusivität des Viertels.
5. Erinnerungspolitik
Schließlich wirft der geplante Stiftungsbau auch erinnerungspolitische Fragen auf, die mit unterschiedlichen Bezügen den Ort des Baus und die Person des Stifters betreffen:
Der Baakenhafen mit dem Baakenhöft bildet einen der wenigen authentischen Täter orte für den Genozid an den Herero und Nama (1904-1908) im heutigen Namibia. Bevor ein Opernbau an diesem Ort geplant werden kann, bedarf es der Klärung der Fragen, wie durch die Ausgestaltung einer angemessenen Gedenkstätte ein Überschreiben durch einen Opernbau des 21. Jahrhunderts verhindert werden kann.
Einen weiteren erinnerungspolitischen Aspekt bildet der gegen den Stifter im Raum stehende Vorwurf, die Beteiligung seines Unternehmens an den Verbrechen des „Dritten Reiches“ nicht ausreichend aufgearbeitet zu haben, ja die Aufarbeitung zu behindern. Die Stadt Hamburg sollte nur dann Gelder von ihm annehmen, wenn diese Vorwürfe ausgeräumt und die Herkunft des Vermögens geklärt sowie die Rolle des Unter nehmens im „Dritten Reich“ angemessen dargestellt werden.
Die Freie und Hansestadt sollte gerade heute, angesichts der zunehmenden Porosität demokratischer Strukturen in der gesamten westlichen Welt und mit Blick auf die große Zahl der in den nächsten Jahrzehnten zu sanierenden Theatergebäude in der dichtesten Theater- und Orchesterlandschaft der Welt ein Beispiel dafür geben, wie eine zukunftsorientierte Bauplanung für die Zentren der bürgerlichen Öffentlichkeit auszusehen hat. Im konkreten Fall sind im Zusammenhang mit den Theaterbauplanungen neben den architektonischen Gesichtspunkten auch städtebauliche, soziale, erinnerungspolitische, akustische, historische und ästhetische Fragen zu erör tern, die mit einem solchen Theaterneubau an so prominenter Stelle verbunden sind. Niemand kann und darf vor dem Hintergrund zahlreicher Beispiele verfehlter Planung und Umsetzung der Sanierung oder des Neubaus von Theatergebäuden alle diese Fragen entscheiden, ohne alle Argumente gehört und sich mit den entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinandergesetzt zu haben.
Erstunterzeichnende
Dr. Lisa Kosok, ehem. Direktorin des Museums für Hamburgische Geschichte, ehem. Prof. für Kulturerbe und Museumswissenschaften, Hafen City Universität.
Prof. Dr. Frank Schmitz, Architekturhistoriker, Universität Hamburg und Stellv. Vorsitzender des Hamburger Denkmalrats
Dr. Kim Todzi, Historisches Seminar, Universität Hamburg
Prof. Dr. Jürgen Zimmerer, Professor für Globalgeschichte, Universität Hamburg, 2015-2025 Leiter der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe
Prof. Dr. Maren Harnack, Professur für Städtebau und Entwerfen, Frankfurt University Prof. Hans-Jörg Kapp, Professur für Regie und Dramaturgie, Hochschule Hannover
Prof. Dr. Nikolaus Müller-Schöll, Professur für Theaterwissenschaft, Goethe-Universität Frankfurt
Hinweis: Wie der Titel schon zeigt, ist dies mein fünfter Beitrag zum Thema. Alle anderen sind hier im Blog weiterhin verfügbar. Die Zahlen finden sich in Kühne I. unter diesem Link: https://publikumsschwund.wordpress.com/2024/12/17/kuhne-oper-in-hamburg/
Entdecke mehr von Publikumsschwund
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.