Ein Gastbeitrag von Holger Kurtz, Kulturberatung
Zur Vor-Weihnachtszeit heute mal etwas Besinnliches. Ohne Kritik, ohne Hate, kein Rant. Ok, bisschen Rant mit Tippfehlern. Bisschen in die Tastatur schreien. Wie Weihnachten mit der Familie eben.

Sprechen Kulturorganisationen über Publikum, geht es meist um das Wunschpublikum. Jung soll es sein und divers und viel und mit dem Lastenrad vom Biomarkt.
Das ist schön, aber ich wünsch mir auch seit 20 Jahren eine Canon EOS 1D zu Weihnachten. Bekomme ich trotzdem nicht, auch wenn ich mir eine ärmellose Weste mit tausend Taschen anziehe und so einen Naturfotografen imitiere.
Warum? Weil die Kamera sau teuer ist – und ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, was ich damit anfangen würde, wenn ich sie hätte. Schleppe ich die dann immer mit? Ne. Daher vielleicht doch einfach die Kamera nutzen, die immer dabei ist und das beste daraus machen: das Handy.
Junges Publikum zu erreichen ist auch sau teuer und man weiß oft nix damit anzufangen: Hier ist ein Club Konzert mit Bier und guter Laune, kaufst du jetzt das Orchesterabo für 2023 und hältst 2h im Monat die Klappe bei uns? BIER WEG, DAS IST HOCHKULTUR DU SCHLINGEL!
Denn während man beim älteren Stammpublikum die Adressen hat und diese über Direktmarketing reaktivieren kann, ist junges Publikum eben nicht Teil des Stammpublikums und muss teuer über Outbound Marketing (aka Leute nerven) erreicht werden. Und verdammt, diese Zielgruppen wollen tausende Werbetreibende erreichen. Wettbewerb erhöht die Klickpreise.
Außerdem müssen die Botschaften etc. für die Zielgruppe angepasst werden. Aber wer kann für Neukunden texten? Im Betrieb wurden doch nur Musikwissenschaftler:innen in 4. Generation eingestellt. Raus kommen Ideen wie: 20% Rabatt für das Konzertticket. Wer kein Interesse an Mahler oder Shakespeare oder Monet hat, hat auch kein Interesse am Rabatt. Oder kaufen sie das hier? Ist gerade günstiger!
Da Marketingbudgets in Kulturorganisationen aber mini sind, kann sich das kein Betrieb langfristig leisten. Wachstum kostet mehr als er einnimmt. Geringere Budget zwingen aber zur Effizienz.
Wer jetzt mit Social Media Postings kommt, die nix kosten: bitte aufwachen, „wir haben 2022“. Zeit der Realität ins Auge zu blicken: Ohne Budget erreicht ihr leider mehr Leute, wenn ihr stattdessen aus dem Fenster schreit.
Weitere Gedanken: Wenn ab morgen nur noch junges Publikum zu euch kommt und das Publikum nur 10 EUR Studententickets zahlt, seid ihr ihr bald pleite. Also aufpassen, was man sich zu Weihnachten wünscht. Studierendentickets sind übrigens klassistische Kackscheiße.
Weihnachtsgrüße
Holger
P.S. Anmerkung nach einer Tasse Beruhigungstee
Natürlich sehe ich die Relevanz von jungem Publikum, um auch zukünftig Menschen mit Theater, Museen und klassischer Musik begeistern zu können. Was ich hier kritisiere ist nur der Elephant im Raum: Junges Publikum / Neues Publikum (Grüße an die ü40-jährigen) ist teurer. Schrumpfende Kulturtöpfe haben daher einen noch größeren Einfluss auf die Zukunftsfähigkeit vieler Kulturorganisationen, als man so denkt.
Entdecke mehr von Publikumsschwund
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.