in Publikumsschwund

Freier Eintritt = neue und mehr Besucher:innen? Eine Fehleinschätzung!

Bleiben Besucher aus, werden insbesondere kulturpolitisch verantwortliche Politiker:innen nervös. Schnell wird dann der Ruf laut, Theater/Oper/Museen seien zu teuer und würden Menschen mit niedrigem Einkommen davon abhalten, die Einrichtungen zu besuchen.

Auch in meiner Heimatstadt Bremen hat eine Initiative im Parlament dazu geführt, dass in Zukunft jeweils ein Tag in der Woche im Museum für die Besucher eintrittsfrei sein soll. Die entgangenen Umsätze wird der Senat auffangen, dafür ist ein Budget von 400.000€ vorgesehen. Der Weserkurier schreibt dazu:

„Die Bremer Museumsdirektoren sind allerdings nicht begeistert von dem Plan. „Keine gute Idee“, sagt Arie Hartog vom Gerhard-Marcks-Haus. „Wir wissen aus Untersuchungen und Erfahrung, dass dann die Gruppe von Besuchern, die sonst zahlen würde, ins Museum kommt. Die Personen, die den Weg ins Museum noch nicht gefunden haben, werden nicht kommen, und an den anderen Tagen bleiben die Museen leer.““

Quelle: Museumsdirektoren skeptisch gegenüber freiem Eintritt. Weserkurier, 22.11.2021 (Paywall)

Im Resümee der Untersuchung „Evaluation des freien Eintritts in Dauerausstellungen für die baden-württembergischen Landesmuseen und das ZKM“ heißt es:

„Kostenfreier Museumseintritt wirkt in unterschiedlicher Weise auf Menge und Zusammensetzung des Publikums:

– Kurzfristig bewirkt freier Eintritt mehrheitlich steigende Besuchszahlen der Museen. Langfristige Effekte des freien Eintritts sind für deutsche Museen bisher kaum analysiert.

– An einigen der untersuchten Museen war freier Eintritt ein häufig genannter Besuchsgrund und Anreiz für weitere Besuche. Die Mehrheit wäre aber auch gekommen, wenn es Eintritt gekostet hätte.

Neue Gruppen von Besuchern werden nur teilweise durch freien Eintritt erreicht (siehe folgend Veränderung der Besucherstruktur). Eintrittspreise werden in vielen Studien als Besuchsbarrieren genannt, zeigen sich aber gegenüber anderen Barrieren als nachrangig.“

Dr. Nora Wegner in Zusammenarbeit mit Dr. Tom Schößler: Evaluation des freien Eintritts in Dauerausstellungen für die baden-württembergischen Landesmuseen und das ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe. 2019 (PDF)

Der freie Eintritt, so die Erkenntnis, war nur für 13% der befragten Besucher:innen der Anlass für einen Museumsbesuch.

Tibor Kliment hat Konzepte für freien Eintritt weltweit, in der EU und in Deutschland betrachtet und konstatiert einen klaren Mitnahmeeffekt:

„Insgesamt ergibt sich auf Basis der vorhandenen Studien ein Muster, in dem die Wiederholungs- bzw. Stammbesucher eines Museums ihre Besuchstätigkeit durch den freien Eintritt stark ausweiten. Die steigenden Zahlen in der Besucherstatistik gehen damit weit überwiegend auf die vermehrten Besuche des Stammpublikums und weniger auf neue Besucher zurück. Hier handelt es sich um klare Mitnahmeeffekte.“

Tibor Kliment: Der freie Eintritt im Museum: Auswirkungen auf die Publikumsgewinnung, Einnahmen und umgebenden Museen im Kontext des Humboldt Forum Berlin. 2019 (PDF)

Wie schafft man es, mehr Publikum anzulocken? Anderes Publikum? Jüngeres Publikum? Diverseres Publikum?

Nach allen vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen reicht es nicht, die Eintrittspreise zu senken oder gar keinen Eintritt mehr zu fordern. Vielmehr müssen Ansprache und Angebote geändert werden, um langfristig eine Veränderung der Besucherstrukturen zu bewirken. Dabei geht es auch um die Relevanz der Inhalte, die gezeigt werden. Diese werden sich ändern müssen, wenn neue Zielgruppen erreicht werden sollen (s.a. „The Art of Relevance“ von Nina Simon, online kostenlos verfügbar). In vielen Museen gibt es dazu bereits Initiativen, auch die Diversitäts-Agenten der Bundeskulturstiftung sind hier eine große Hilfe. In Bremen wird z. B. das Focke-Museum unterstützt.


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