
Die Opernfestspiele in München finden immer im Mai statt. Der Vorverkauf dazu startet im Januar. Noch vor ein paar Jahren mussten sich die Fans durchgängig bei jedem Wetter anstellen. Eine Fan-Gruppe organisierte Wartenummern, die verfielen, wenn man sich nicht regelmäßig im aufgestellten Campingwagen meldete. Vor einigen Jahren habe ich das aus eigener Anschauung erlebt, als ich einen Tag beim Vorverkauf der Münchner Staatsoper aushelfen durfte.
Als ich gegen 8 Uhr kam, hörte ich schon von weitem das Gesumm und Gebrumm einer großen Menschenmenge. Die Wartenummern wurden gerade gemäß Liste ausgegeben. Als die Türe zum Vorverkauf geöffnet wurde, wurde die erste Gruppe der Wartenden ab der #1 eingelassen. Es waren um die 7 Schalter besetzt. Manche Verkaufsvorgänge dauerten bis zu einer halben Stunde. Die Wartenden hatten Zettel oder ganze Quarthefte dabei mit Bestellungen für die Freunde, Verwandte und Nachbarn, manchmal mit genauen Platzvorstellungen – hier waren echte Fans und Kenner am Werk. Bezahlt wurde überwiegend mit Bargeld, manchmal gingen mehr als tausend Euro für einen Verkaufsvorgang über den Tresen. Gearbeitet wurde schnell und konzentriert.
Bis vor ein paar Jahren konnte man sich die aussichtsreichen, vorderen Anstehränge über ein semi-offizielles Prozedere bei Januarkälte mühsam erarbeiten. Dazu hatte man eine Woche lang Tag und Nacht zu Appellen auf dem Marstallplatz zu erscheinen, wo eine irgendwie dazu autorisierte Gruppe eine Namensliste führte. Deren Ranking dann aus Tradition von der Staatsoper anerkannt wurde. Doch diesen eigenwilligen Wahnsinn muss sich keiner mehr antun. Von Mittwoch, 22. Januar, 9.30 Uhr an, vergibt die Staatsoper selbst die Wartenummern, telefonisch, online und am Schalter (Kundennummer bereithalten). Auch da braucht es freilich ein wenig Glück.
Eine Tradition aber hat Bestand: Am Erstverkaufstag öffnet die Staatsoper für die Wartenden ihre Kantine schon um 8.30 Uhr. Und im Freunde-Foyer des Nationaltheaters verkürzen von 8.45 Uhr an künstlerische Darbietungen und Infos zu den Festspielen die Zeit bis zum Schalter.
Mit der Warteschlange ist eine spannende Tradition verschwunden, die ihresgleichen suchte. Aber natürlich ist so eine Quälerei nicht mehr notwendig in Zeiten von Online-Ticketing, Online-Verlosungen und CRM-Systemen. Die Warteschlange signalisierte auch immer nach außen: hier lohnt es sich, anzustehen.
Ähnlich, wie Dieter Kosslick bei der Berlinale immer darauf bestand, dass bestellte und bezahlte Tickets am Potsdamer Platz abgeholt werden mussten: die Abhol- und die Kaufschlange (die sich am Vorabend des Erstverkaufs immer Sonntags mit Campingstühlen, Decken, Broten und Kaffee vorbereitet zeigte) waren jedesmal ein eindrucksvoller Beweis für die Beliebtheit der Berlinale. Aber nötig waren auch diese Schlangen nicht. Jetzt wird das Einkaufszentrum am Potsdamer Platz renoviert. Ich weiß gar nicht, ob es diese Schlangen noch gibt.

Quelle: Vorverkaufsstart für die Münchner Opernfestspiele: Was man tun muss, um bei den Festspielen günstig Jonas Kaufmann zu erleben, Süddeutsche Zeitung, 19.1.2025
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