in Publikumsschwund

„Damit die Frustrierten zurückkommen“ (Schweiz am Wochenende)

Das Matterhorn. Foto: Julius Silver, Pixabay

In der Sonntagsbeilage vom 24.8.2024 für die großen Schweizer Tageszeitungen schreibt Julia Stephan über den Beginn der Spielzeit 2024/25, insbesondere über den Neustart des Züricher Schauspielhaus unter der Interims-Leitung von Ulrich Khuon, der eigentlich nach dem Ende seiner Intendanz am Deutschen Theater Berlin in den Ruhestand gehen wollte.

Stephan schaut auf die Schweizer Theaterspielpläne für die neue Saison und konstatiert:

Schweizweit herrscht in der Saison 2024/25 ein Klassiker-Kahlschlag. Auch die Zahl der Romanadaptionen, zeitweise sehr beliebt, weil sich bereits vorhandene Produkte besser vermarkten lassen als Stücke, die keiner kennt, ging leicht zurück. Bis auf die Bühnen Bern und das Theater Orchester Biel Solothurn scheint man sich mehr für zeitgenössische Dramatik und diskursive Themenbearbeitungen zu interessieren.

Das schlägt den Bogen zum Thema Publikumsschwund, der auch in der Schweiz ein großes Thema ist, nicht nur für die Intendanz Stemann/von Blomberg am Züricher Schauspielhaus. Zum Publikumsschwund und den Erkenntnissen meines Buches hatte Julia Stephan mich vor einigen Wochen interviewt und fasst die Erkenntnisse so zusammen:

Der deutsche Kulturmanager Rainer Glaap hat jahrelang für den Ticketvermarkter und Konzertveranstalter CTS Eventim gearbeitet, zu dem auch die Verkaufsplattform ticketcorner.ch gehört. In seinem neuen Buch «Publikumsschwund?» bringt er den Beweis, dass der Zuschauerrückgang kein Gespenst ist, das laut, aber substanzlos durch die Theaterränge huscht. Er ist eine reale Bedrohung. Glaap wertete alle Jahrgänge der Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins aus. Die Zahl der Zuschauer deutscher Theaterhäuser von den 1950er-Jahren bis kurz vor der Pandemie hat sich mehr als halbiert. Die Betriebszuschüsse haben sich (inflationsbereinigt) hingegen fast verzehnfacht. In der Schweiz dürfte der Trend in eine ähnliche Richtung gehen.
Der Marketingexperte beklagt die «Wagenburgmentalität» vieler Theater, die oft nur für sich selbst arbeiten würden, ohne ihre Zielgruppe zu eruieren. Man tritt als Sender auf, selten als Empfänger.

Sie schließt mit der Empfehlung, die Hürden für Theaterbesuche abzubauen und beherzt z. B. auf eine Zielgruppe zuzugehen, die das Gorki in Berlin für sich bereits erschlossen habe: Menschen mit migrantischem Hintergrund. Es gelte, Hürden abzubauen:

Dafür müssten die Theater aber mehr tun, um bei Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen die Schwellenangst abzubauen. Wer die Rituale von Einlass, Nacheinlass und Pause nicht kenne, die ungeschriebenen Gesetze, die das soziale Ereignis Theaterbesuch wie einen Temperaturregler dimmen und hochfahren, der fühlt sich eingeschüchtert und unwillkommen. Vermittlungsarbeit müsste hier ansetzen, anstatt dass man komplizierte Regiekonzepte erklärt.

Quelle: „Damit die Frustrierten zurückkommen“, u.a. in der Luzerner Zeitung, Ausgabe Luzern, 24.08.2024, Seite 47, Ressort „Schweiz am Wochenende“ (Paywall)

Verfügbar auch z. B. über Wiso-Net, URL https://www.wiso-net.de/document/NLZ__f561d4d9597c5a8439945d6b5e37e5a348c070df – erreichbar für die meisten Studierenden und Universitätsmitarbeiter:innen über die Uni-Bibliotheken)


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