In meinem letzten Blogbeitrag habe ich über die Recherchen des Kulturreporters Peter Grabowski für den WDR berichtet.
Ich hatte im Dezember ebenfalls beim BKM nach speziellen Daten gefragt – mich interessierten die Ergebnisse für „Bühne und Konzert“. Dafür war der KulturPass ja übrigens mal gedacht: zur Unterstützung lokaler Kulturangebote, insbesondere von Veranstaltern, die während der Corona-Pandemie besonders gelitten hatten.
Das BKM übermittelte mir Daten je Bundesland in einem Text-Dokument, dazu eine Zusammenfassung für Gesamtdeutschland mit Stand 18.12.2023 (zur Erinnerung: der KulturPass ging am 14.6.2023 an den Start):

Meine eigene Zusammenfassung der Zahlen der Bundesländer (Pivotierung in Excel) ergibt leicht abweichende Ergebnisse:

Wert-Codes sind Gutscheine, die in der App zur Einlösung bei einem Kulturanbieter erzeugt
werden; typische Einlöseorte lt. FAQ des BKM: Buchhandlungen und Kinos. Die Wertcodes werden im weiteren Verlauf dieses Beitrages nicht weiter betrachtet, da sie auf der Basis der vorhandenen Daten keinen Kategorien zugeordnet werden können.
Nach Kategorien sortiert, ergibt sich folgende Auswertung:

Insgesamt sollen ca. 80.000 Besuche im Bereich „Konzert und Bühne“ erfolgt sein, Zahlen für den Besuch von Rock- und Pop-Konzerten wurden mir allerdings nicht mitgeteilt.
Auffällig ist die starke Konzentration auf Musical und Show. Die Anzahl der Tickets ist fast 10x so hoch wie der Durchschnitt der anderen Kategorien (567). In der Grafik ist das noch deutlicher zu sehen.

Nachfolgend weitere Auswertungen je Kategorie und Bundesland.
Insgesamt wurden wenige Karten für Theatervorstellungen mit dem KulturPass gekauft. Spitzenreiter ist Berlin, die Stadt mit dem größten und diversesten Angebot. Auffällig die Kennziffer Umsatz/Karte. Der Betrag liegt zwischen €20 und €45, was etwas merkwürdig ist, da in den städtischen Theatern Karten für Schüler:innen und Studierende entweder kostenlos (in mind. 25 Städten gibt es Vereinbarungen zwischen den Universitäten und den Theatern) oder stark ermäßigt sind, meist liegt der Preis für eine Karte unter €10.

Ein Blick auf die Oper zeigt: in 5 Bundesländern wurde nicht eine einzige Karte gekauft, Spitzenreiter als Flächenland mit den meisten Einwohnern ist NRW. Hier geht der durchschnittliche Kartenpreis bis auf €60 hoch.

Tanz war etwas stärker nachgefragt, aber nur zwei Bundesländer erreichen mehr als 100 Tickets. Die Durchschnittspreise liegen hier etwas höher als in der Oper und erreichen für Bremen €70. Mit dem Angebot der städtischen Bühnen ist das nicht zu erklären, Karten für die Produktionen der Tanzkompagnie Unusual Symptoms, die regelmäßig im Kleinen Haus des Bremer Theaters auftritt, gibt es zum Einheitspreis von €21. Denkbar wären natürlich auch der Besuch von Gastspielen bei Tanzveranstaltungen im Metropol-Theater, wo gelegentlich klassische Ballette von Tournee-Kompagnien gezeigt werden. Detailliertere Zahlen wären wünschenswert.

Ein Blick auf die Klassik: hier können Karten noch teurer sein, Spitzenreiter sind die (nur) 10 Karten zum Spitzendurchschnittspreis von fast €100.

Zuletzt werfen wir einen Blick auf die Kategorie Musical und Show, dazu würde ich z.B. den Berliner Friedrichstadtpalast zählen, die Schmidt-Theater in Hamburg, die Musicals der Stage Entertainment (Frozen, Hamilton et al.) und BB-Promotion (Harry Potter). Wissenswert wäre hier, ob das BKM die Auswertung nach Venue (Spielort) oder Wohnort der Käufer:innen bilanziert.

Insgesamt sind die Zahlen in diesem Sektor sehr niedrig. Nicht wirklich unerwartet, Kinder und Jugendliche gehen eher selten aus eigenem Antrieb ins Theater, die Oper, den Tanz oder ins klassische Konzert.

Bezogen auf die 80.700 Besuche im Bereich „Bühne und Konzert“ ergeben die hier betrachteten Besuche der eher klassischen Sparten Theater, Oper etc. 9,85%.
Ist das nun ein Erfolgsmodell? Das ist natürlich eine Frage der Erwartungshaltung.
Claudia Roth zieht selbst Bilanz für Bücher und Kinobesuche (Weser Kurier, 2.1.24):
Roth verwies auf die laufenden Erhebungen. „Über 500.000 verkaufte Bücher, das ist schon eine Nummer. Das sind mehr als 8,2 Millionen Euro Umsatz“, sagte sie. „Diese Bücher bekommst du nicht online, sondern du musst dafür in den Buchladen um die Ecke gehen. Davon profitieren die Buchhändler, auch kleine Buchläden in ländlichen Regionen.“ Von dort werde von einem neuen Publikum, neuen interessierten jungen Leute berichtet. „Die haben ein Buch reserviert über den Kulturpass und fangen dann an zu stöbern, zu suchen und Neues zu entdecken.“
Positive Rückmeldungen kommen auch aus anderen Branchen. So sagte etwa Peter Dinges, Vorstand der Filmförderungsanstalt, der dpa: „Der Kulturpass hatte einen großen Effekt. Das war das richtige Angebot zur richtigen Zeit, darüber freue ich mich.“ Roth hat die entsprechenden Zahlen dazu: „Die rund 223 000 Kinobesuche, die schon passiert sind, sind wirklich toll mit einem Umsatz von 2,6 Millionen Euro. Die Kinoverbände sagen, das sei unglaublich wichtig, dass gerade junge Menschen wieder in die Kinos kommen.“
Interessant wären auch hier z.B. die Top 100 der gekauften Bücher oder die Top 10 der nachgefragten Kinofilme. Ist es sinnvoll, eine Buchhandelskette, die zu einem Parfümkonzert gehört, zu unterstützen? Oder internationale Kinoketten?
Als nächstes sei geplant, eine Kooperation mit Frankreich aufzusetzen, so dass der KulturPass (z. B. in Grenzgebieten) gegenseitig eingelöst werden kann. Völkerverständigung und Austausch sind gut, ob die erfolgreichen Genres wie Bücher oder Kino und der hier notwendige bürokratische Aufwand das mögliche Ergebnis rechtfertigen, wird man sehen. Zweifel sind angebracht.
Nachtrag: Am 4.1.2024 berichtet Kathleen Hildebrand in der SZ über den aktuellen Stand. Dort werden als Bilanz genannt:
- 285.000 Jugendliche hatten sich registriert
- 650.000 Bücher (1) wurden gekauft, dazu
- 260.000 Kinokarten und
- mehr als 110.000 Tickets für Konzerte und Theateraufführungen
Berichtet wird auch über den französischen Kulturpass, dessen Budget zu 80 % von Unternehmen getragen werde. In Frankreich gelten erweiterte Regeln: Jugendliche verfügen über Budget von € 500 ab dem 15. Lebensjahr. Die ersten Nutzungsdaten hätten in Frankreich für Aufregung gesorgt, berichtet die Autorin. Der Anteil von Mangas (japanischen Comics) habe 2021 75 % betragen. In Deutschland lägen nicht Mangas vorne, sondern sog. „New Adult“-Romane (2) von überwiegend US-amerikanischen Autorinnen.
Die FAZ berichtet auch über die Pläne zur Erweiterung, verweist aber zusätzlich darauf, dass der KulturPass ursprünglich in Italien erfunden wurde, aber:
Das Förderprogramm, das die Regierung Macron 2021 aufgelegt hat, folgt einem italienischen Modell, das den Kulturkonsum junger Erwachsener mit fünfhundert Euro aus staatlichen Mitteln unterstützt. Der italienische „bonus cultura“, der bereits 2015 verabschiedet wurde, gilt allerdings nur für italienische Staatsbürger, während Deutschland und Frankreich auch im jeweiligen Land geborene Ausländer subventionieren, die ihr achtzehntes Lebensjahr vollendet haben.
Da Bücher so eine große Anziehungskraft auf die Nutzer:innen des KulturPasses haben, wäre es vielleicht eine gute Idee, eine BibCard für die jeweilige Stadtbibliothek am Wohnort mit einzuschließen? Der Besuch ist in der Regel bis zum 18. Lebensjahr kostenlos, danach wohl auch für Schüler:innen, Studierende und Auszubildende, aber sicher kennen nicht alle jungen Menschen die Angebote ihrer örtlichen Bibliotheken (Beispiel: StaBi Bremen, enthalten sind i.d.R. auch Zeitungen / Zeitschriften / Games / fremdsprachige Bücher (in Bremen über die App LIBBY usw.).
Quellen:
- Daten des BKM, Stichtag 18.12.2023
- „Roth will bei Kulturpass mit Frankreich kooperieren„, Weserkurier, 2.1.2024 (möglicherweise Paywall)
- „Kulturpass für junge Menschen: Nach Erfolg steht Claudia Roth 2024 vor Problem„, SZ, 4.1.2023 (Paywall)
- „Kulturpass auch für Franzosen„, FAZ, 2.1.2024
- „Rohrkrepierer Kulturpass: Theater Bremen hat bisher 7 Karten verkauft„, mein Blog-Beitrag vom 24.11.023
- “Kulturpass: Bilanz nach sechs Monaten” (WDR), Blog-Beitrag vom 5.1.2024
(1) Die abweichenden Angaben bei der Anzahl der verkauften Bücher wurde so den Zeitungsbeiträgen entnommen.
(2) Einen guten Überblick über das Genre „New Adult“ bieten die Stuttgarter Nachrichten in diesem Beitrag von 2022.
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