
Inhaltsangabe
Vorwort zur Bearbeitung
Das Theaterlexikon von 1841 liegt bei Google Books als eingescanntes Exemplare vor. Die Texte sind diesem Exemplar entnommen.
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Die ausgewählten Beiträge beziehen sich auf Stichwörter zum Thema Publikum, Reaktionen des Publikums, Kritik und den Rezensenten selbst. Anlass für die Zusammenstellung ist eine Veranstaltung von nachtkritik.de am 5. März 2024 in München: Macht Kritik Theater (die Veranstaltung wird live auf nachtkritik.plus übertragen).
Weiter Stichwörter sind in Vorbereitung.
Rainer Glaap
Bremen, März 2024
Ausgewählte Stichworte
(Die Fussnoten befinden sich am Ende der Seite)
Applaudiren
Applaudiren (vom Lat.), Beifall klatschen, durch Zusammenschlagen der Hände Beifall bezeigen; das Gegentheil von: zischen, pochen, was Mißfallen anzeigt. In manchen Orten, namentlich im südlichen Deutschland, ist das bloße Pochen mit Stöcken, Füßen – wohl aus Bequemlichkeit entstanden – auch Beifallszeichen, besonders beim Hervorrufen angewandt. Anderwärts, im Norden, als Beifallszeichen sehr befremdend, weil es da einen erhöhten Grad von Mißfallen andeutet, dessen erster Grad Zischen, der zweite Pochen (oder Trommeln) und der höchste Pfeifen ist.
Applaus
Beklatschung, lauter Beifall.
Auspfeifen
Durch Pfeifen ein Mißfallen zu erkennen geben, doch nur von einer Versammlung, am häufigsten in Schauspielen. Wo nicht strenge polizeiliche Maßregeln es verwehren, z. B. bei Hoftheatern, behauptet jedes Theaterpublikum ein Recht dazu zu haben, und übt es gegen mißfällige Schauspieler und Theaterstücke, nicht immer unter Beobachtung strenger Gerechtigkeit, aus, manch mal aus Privatursachen. – Das Auspfeifen gilt als der höchste Grad des Mißfallens (s. Applaudiren). Es soll das Pfeifen im Theater in Frank reich seinen Ursprung gefunden haben, und zwar auf folgende Art: „Bei einem schlechten Stücke wünschten die Zuschauer den Vorhang fallen zu sehen, man rief „la toile à bas! à bas latoile!“, Alles half nicht, da fiel es Einem ein zu pfeifen, und der Maschinist, der das zu diesem Zwecke gebräuchliche Zeichen zu erkennen glaubte, ließ ohne Weiteres den Vorhang fallen. Man lachte, klatschte, und von da an war das Pfeifen bei ähnlichen Fällen eingeführt.“
Auspochen
S. Pochen.
Beifall.
Das Wohlgefallen oder die Zufrie denheit mit den Eigenschaften oder Beschaffenheiten einer Person oder Sache ist, wie der Begriff von Schönheit, sehr relativ – mancher junge Schauspieler verdankt ihn nicht seinem Verdienste, sondern seinen zahlreichen Freunden – manche junge Schauspielerin ihrer Schönheit c.; doch ist der Beifall, namentlich wenn er mit Bewußtsein verdient ist oder wird, der schönste Lohn des wahren Künstlers und steht ihm höher, als Geld und Rang. – Das Wort Beifall wird auch für Aeußernng die ser Zufriedenheit gebraucht. – Diese Aeußerung besteht vom versammelten Theaterpublikum in Applaudiren, ,,Bravo“ rufen, Hervorrufen – oft aber ist die gespannte Aufmerksamkeit ein größerer Beweis von Beifall, als alles Toben und Schreien, und der Künstler fühlt sehr genau in seiner Begeisterung diese feierliche Ruhe und befindet sich – wohlig und beglückter darin, als oft bei lauten Beifallsbezeigungen (s. Applaudiren, Hervorrufen, Auszeichnung, Auspochen).
Da capo
Mus. ital. von Anfang (abgekürzt d. c. oder D. C. oder D. cap.), zeigt an, daß ein Musikstück bis zu dem Schlußzeichen (fine, finis – “D ) wiederholt werden soll. – Das Publicum im Theater oder Concert gibt durch den Ruf D. c. (auch zuweilen bis, zweimal) einem Sänger oder Instrumentalist zu erkennen, daß er ein gewisses Tonstück noch einmal vortragen soll. Damit geschieht nun viel Mißbrauch, indem man wohl das Couplet eines Liedes ohne Anstrengung wiederholen kann (was auch wohl am öftersten verlangt wird, namentlich vom Buffo schon des pikanten Textes wegen, gewöhnlich ist er auch auf diesen Fall mit jedesmal neuem Texte vorgesehen), – nicht aber ebenso eine große Arie oder dergl. in einer großen Oper, wenn man schon viel gesungen und noch viel zu singen hat, – in diesem Falle ist die Weigerung des Sängers, welcher manchmal zu Lärm im Theater Anlaß gibt, sehr verzeihlich.
Claqueurs
(Fr. v. claquer), klatschen, gedungene Beifallklatscher im Schauspiel: namentlich in Frankreich und da wieder in Paris ein Erwerbszweig für Tagediebe. In der neuesten Zeit fängt man auch da an zurückzukommen und nicht mehr so viel Geld für Cl. zu verwenden, wie das wirklich der Fall war. Es waren förmlich von den Theaterdirectoren in Paris besoldete Leute.
In Deutschland bezahlt man sie mit Freibilletten, Schmeicheleien, Einladungen oder Späßen auf der Bierbank (vgl. Recensent).
Hervorrufen
Das H. eines Schauspielers od. Sängers nach einer Leistung od. einem Theile derselben auf der Bühne ist in jüngsten Zeiten oft gemißbrauchte Auszeichnung – worüber sich mehrere geachtete öffentliche Stimmen wahr und treffend vernehmen lassen[i]. Ebenso über die Art u. Weise wie der Hervorgerufene sich benimmt od. benehmen soll[ii]. Demüthigend u. lähmend ist der Gedanke, daß dergl. hohe Auszeichnungen für Verdienst u. Talent mit Freibillets u. Geld erkauft werden können[iii]. Fast nicht minder der unglaubliche Mißbrauch, der mit dem Hervorrufen geschieht, u. namentlich in Süddeutschland, besonders in Oestreich, wo nicht selten ein Liebling in ein u. derselben Vorstellung 30–40mal nach Scenen u. Acten hervortreten u. sich bedanken muß. Entsetzlich, daß man die Störung nicht fühlt, daß man, um seinen Lüstchen zu fröhnen, die Einheit des Genusses sich entzieht! Dazu kommt noch, daß diese Lieblinge beim jedesmaligen Wiedererscheinen auf der Bühne mit Klatschen u. Bravo empfangen werden, wem das nicht lästig und werthlos erscheint, der hat keinen Begriff von der ungestörten Einheit einer Darstellung, von dem süßen, stillen, hauchlosen Beifall (s. d.) der dem wahren Künstler der belohnendste ist! In technischer Beziehung ist dabei zu bemerken, daß der Regisseur od. Inspicient, wie für die Ordnung im Allgemeinen, auch hierbei verantwortlich, den Gerufenen zum Vortreten aufzufordern hat, den Befehl zum Aufziehen der Gardine gibt, u. nöthigen Falls, wenn gerade am Actschlusse eine störende Decoration, welcher Art sie sei, Brand, Zerstörung sichtbar gewesen, eine kurze (Zimmer, Wald od. dgl. vorstellend) vorfallen läßt, ehe die Vordergardine aufgezogen wird; ist dieß so schnell nicht möglich, läßt man den Gerufenen auch wohl vor die Gardine hinaustreten. – Gut ist es, wenn ein Gesetz bestimmt, daß das engagirte Mitglied sich wortlos zu bedanken hat, wo dieß nicht der Fall, ist der Schauspieler für seine Anrede (vgl. d.) an das Publikum verantwortlich, u. verfällt dem hierauf sich beziehenden Theatergesetze, das alle u. jede Herabsetzung der Stückes, der Direction, der Collegen streng verbietet. Diese Bedingung tritt für jeden Fall ein, auch bei einer Vertheidigung, wenn das Publikum einen Schauspieler zur Rechtfertigung auf fordert od. ihn spottweise hervorruft[iv], was gewöhnlich mit Pochen begleitet wird; hierüber ist gleichfalls u. d. Art. „Anrede“ schon Einiges bemerkt. (Vgl. Publikum.) Der Regisseur ist in jedem Falle verpflichtet, sowohl die Direction, als auch das gerufene und bereits abwesende Mitglied gegen das Publikum zu vertreten, ihre Abwesenheit anzuzeigen, in ihrem Namen zu danken od. möglichen Versuch zur Rechtfertigung zu machen. – Früher wurde das Applaudirtwerden beim Abdanken (s. d.) oft mit Hervorrufen verwechselt, auch d. Abdanken selbst von d. Hervorgerufenen gleich vollzogen. Noch ist hier zu bemerken, daß es zweckmäßig, in Bezug auf ein Theatergesetz zu erlassen, welches die Mitglieder, die oft aus Eigensinn od. Laune sich weigern, dem Wunsche des Publikums zu willfahren (wo solches nicht höhern Orts gänzlich verboten), bei Strafe zwingt, der Aufforderung des Regisseurs Folge zu leisten, indem es seine Pflicht ist, das Publikum zu beruhigen, zu befriedigen u. jeden Eclas möglichst zu vermeiden. Diese Verantwortlichkeit kann nur bei einem solchen Gesetze, welches bei vielen Theatern bereits in Kraft getreten, vom Regiss. übernommen werden.
Kritik
Kritik (Aesth.), [vom griech. urtheilen], Beurtheilung nach festen Grundsätzen. In Beziehung auf Kunstwerke ist sie ästhetische Kr., als die Lehre von dem Vermögen, u. der Kunst, der Beurtheilung des Schönen; ein Haupttheil der empirischen Aesthetik als Kunstkritik, Geschmackskritik (vgl. Aesthetik). Nur jener ist der Kritiker oder Kunstrichter – in des viel gemißbrauchten Wortes ehrender Bedeutung, u. nicht zu verwechseln mit dem nur Tadel bezweckenden Kritikaster und dem Kleinigkeiten zu wichtig nehmenden Krittler, – der die Werke freier Kunst nach bestimmten ästhetischen Principien zu würdigen vermag, der ausgerüstet mit höhern Geisteskräften, lebendiger Phantasie u. Schönheitssinn, jene Eigenschaften in sich vereint, die zur Fällung eines allgemein giltigen Geschmacksurtheils erforderlich sind (s. Geschmack, Geschmacksurtheil)[v]. Hierzu ist erforderlich, nicht allein genaueste Kenntniß der Natur u. des Wesens jeder Gattung von Poesie od. Kunst, der Form, des Technischen, also desjenigen Theiles der Kunst, der gelehrt und gelernt werden kann, sondern es muß auch vorhanden sein: genaueste Kenntniß u. Vermögen der Nachempfindung des in den verschiedenen Productionen verarbeiteten u. zur Anschauung gebrachten Lebens, bei aller Stärke raisonnirender Vernunft; um den Geist u. den Character des Ganzen, wie die Harmonie der Theile zu erfassen, muß er auch jener Begeisterung und Erregbarkeit theilhaft sein, die ihn fähig machen, dem Fluge des schaffenden Genius nachzufolgen, u. mit Verleugnung eigener Individualität die Anschauungs- und Gefühlsweise des Dichters in sich anklingen zu lassen. Kein geistiges Vermögen darf bei ihm fehlen, od. nicht gehörig entwickelt sein. Phantasie, Zartheit, Kraft, Tiefe, Alles muß er besitzen, die unschuldigste Naivetät eines Kindes, wie die höchste Würde und Weisheit des Greises muß er zu erkennen vermögen; besser wäre es allerdings, wenn er immer Ausübung mit Theorie verbände und selbst producirte, wie z. B. Lessing, der Vater echter deutscher Kunstkritik, dessen geniale Tiefe, heller unbefangener Verstand, staunenswerthe geistige Bewegbarkeit, dessen bewundernswürdiger Scharfblick unterstützt von glänzendem Witze, imposanter Gelehrsamkeit, einer Wahrheitsliebe, einer Redlichkeit des Forschens, einer Erhebung über Eitelkeit u. Selbstsucht, die in der Literatur wahrhaft einzig dastehen[vi]. Dagegen finden sich Hunderte, welche sich als Kritiker aufwerfen, u. namentlich die dramat. Kunst glaubt Jeder beurtheilen zu können, und unter diesen kaum ein Befähigter. Wie oft täuscht jeder Schauspieler nicht allein das Publikum, nein auch die Kritiker, wir meinen nicht jene Rotte bestechlicher Subjecte, die blind für alles Wahre, alles Schöne, nur das zu loben sich veranlaßt fühlen, dessen Schöpfer ihnen frönt, ihnen speichelleckt, oder sie bezahlt, – wir meinen jene gescheite, kunstbegeisterte, achtungswerthe, vorurtheilsfreie Männer, die sich berufen glauben die Darstellungen dramat. Künstler zu beurtheilen, u. es thun, fern von aller Partheilichkeit im Selbstgefühle der Wahrheit u. – doch die Wahrheit verkennen, doch ihre Fähigkeit, ihren Beruf verkennen. – Es gibt Wenige, sehr Wenige, die sich hierin nicht selbst täuschen, und also auch von den Darstellern nicht täuschen lassen, den Faden ihres Urtheils an einzelne Stellen od. Momente knüpfen u. so wider Willen ungerecht den Stab über das Ganze brechen, od. ungerecht es in den Himmel heben. So wie es für den Künstler erste Bedingung ist ein Ganzes zu liefern oder hinzustellen, ebenso ist es für den Kritiker Hauptbedingung das Ganze zu beschauen, um es mit Sicherheit beurtheilen zu können[vii]; ohne jedoch die Harmonie der einzelnen Theile außer Acht zu lassen. Es ist ein grober Fehler so vieler gelehrter oder gelehrt sein wollender Kritiker, wie es ein grober Fehler so vieler Dichter ist, daß sie den zu beurtheilenden Gegenstand stets subjectiv betrachten; wie selten fällt einem ein, die Gelehrsamkeit einer Zofe oder eines Bauern zu tadeln, oder wo sonst der Dichter seine Gelehrsamkeit od. Witz am unrechten Orte zeigt; gewöhnlich wird diese gelobt, weil sie gefunden wird, gleichviel wie, wo oder wann. So wie Lessing von Raphael sagt, er würde, wäre er auch ohne Arme geboren worden, ein großer Maler gewesen sein, – so muß der wahre, echte Kritiker der dramat. Darstellungen, wenn er sie auch nicht ausübt, zur Kunst Beruf in sich haben, ein großer Schauspieler geboren sein, Talent in der Brust tragen unverkennbar.
Wie selten dieses unläugbare Talent an den Tag tritt, ist ein Beweis, wie selten die Kunst des Schauspielers richtig beurtheilt werden kann, – die augenblicklich reifende Frucht eines schaffenden Genius, der ein Leben lang strebt, um im Stande zu sein, einen Augenblick lang klar u. wahr aus sich heraustreten zu können, – wie Wenige befähigt und berufen sind, diese Frucht zu schätzen und zu würdigen, od. mit Fug u. Wahrheit in den Koth zu treten. Freilich gehört eine seltene Ausdauer, eine seltene Liebe zur dramat. Kunst dazu, wenn endlich ein befähigter Mann Zeit und Mühe auf dieses undankbarste aller Geschäfte wenden soll, zur Besserung od. Ausbildung eines Schauspielervölkchens seine Kräfte anzuwenden[viii]. – Wer Muth u. Kraft hat, den Haufen zu ignoriren u. für die Sache mit regem Eifer zu arbeiten, mit der Theilnahme u. dem Danke Einzelner sich begnügt, der findet doch schon in diesem Bewußtsein einen Lohn, daß sein Streben, von Wenigen erkannt, nicht fruchtlos war; für das Gros der sogenannten Schauspieler wäre es Sünde an der Zeit, nur eine Zeile zu schreiben! Experientia edocti! – (s. Recensent, vgl. Einrichten). Kritik (Alleg.), a) die gerechte, hält eine Wagschale, worauf sie Bücher abwägt. Neben ihr liegen die Werke des Aristoteles, Longinus und Quintilianus, deren Namen auf dem Rücken oder dem Deckel der Bücher angedeutet sind. b) die bösartige K., diese hat man wie eine Furie abgebildet, welche auf Büchern liegt, die sie zerrissen hat, und noch zu zerreißen im Begriff ist.
Pochen
1) als Zeichen des Beifalls od. Mißfallens, s. Applaudiren und Auspfeifen;
2) hinter der Scene; hier wird statt eines vorgeschriebenen Lärmens, statt leisen Anklopfens an der Thüre u. dgl. das P. so oft fälschlich angewandt, daß es wohl nicht unnöthig erscheint, ernstlich auf diesen Mißbrauch aufmerksam zu machen, der jedesmal nicht allein die Illusion stört, sondern vernunft und zweckwidrig ist. Man berechne wohl die Ursache des jedesmaligen Geräusches u. suche es der Natur möglichst treu nachzuahmen. Man bedenke, daß es weit besser ist, das gewöhnliche Anklopfen eines sich dadurch herkömmlicher Weise selbst Meldenden lieber der Phantasie des Zuschauers zu überlassen, als es unschicklich, stark oder wohl gar, was auch nicht selten geschieht, durch Stampfen mit dem Fuße zu thun.
Pfeifen
S. Auspfeifen
Publikum
Die Gesammtheit einer gemischten aber zu demselben Zwecke verbundenen Menschen menge, z. B. das lesende P. – das Theaterpublikum. – Es scheint zur zweiten Natur der Menschen geworden zu sein, bei jedem öffentlich ausgestelltem Kunstwerke nicht vorbei gehen zu können, ohne darüber ein Urtheil zu fällen, u. der Künstler muß sein Werk, indem er es öffentlich ausstellt, dem Urtheile der Vorübergehenden unterwerfen. Wäre es dem Künstler von jeher gleichgültig gewesen, Beifall od. Tadel zu erhalten, nie würde sich die Kunst zu irgendeinem Grade der Vollkommenheit haben erheben können. – Gewöhnlich besitzen die besten Künstler auch den meisten Ehrgeiz, und es ist sehr zu bezweifeln, ob mancher Schauspieler seine beschwerliche Laufbahn nicht längst verlassen haben würde, wenn ihm die Hoffnung auf Ruhm benommen wäre. Dieser Ruhm des Augenblicks ist sein einziger u. größter Lohn, warum sollte er darnach nicht geizen? Wie schön und wahr spricht unser großer Schiller den Gedanken aus:
Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze,
Drum muß er geizen mit der Gegenwart.
Nichts kann also für den guten Schauspieler aufmunternder u. belehrender sein, als der verdiente öffentliche Beifall.
Denn wer den Besten seiner Zeit genug gethan,
Der hat gelebt für alle Zeiten.
Der größte Theil des Publikums besitzt nun aber weder den richtigen Geschmack, noch die erforderlichen Kenntnisse unserer Kunst, um die Leistungen derselben beurtheilen zu können (vgl. Kritik)[ix].
Das tonangebende Publikum ist in der Regel das Parterre besuchende, vielleicht weil die meisten Männer dort zusammentreffen, vielleicht weil es der Zuschauerplatz ist, wo man sich am leichtesten trifft und so einigermaßen Leute von Ansprüchen an Geschmack c. sich zusammenfinden, kurz das Parterre führt fast allenthalben die entscheidende Stimme, daher auch der Name Parterre sehr häufig für Publikum gebraucht wird. Vielleicht ist dieses moralische Parterre bei dem Volke entstanden, das ihm den Namen gegeben, wenigstens macht es sich in Paris am meisten geltend, und wird diese Vermuthung durch einen Artikel der französischen Encyklopädie bekräftigt, wo es unter Parterre heißt: ,,On apelle aussi parterre la collection des spectateurs, qui ont leurs places dans le parterre; c’est lui qui decide du mérite des pièces.“ Das moralische Parterre ist aber auch öffentlich als Repräsentant des Publikums einer Stadt anerkannt, u. von der Art u. Weise, wie es sein Richteramt ausübt, ob es den Ton trifft, ob es mit richtigem Tact verfährt, wollen wir nicht immer erwarten, aber doch meistens, daß davon der Credit des Publikums abhängt. Herrscht Ordnung u. gesittetes Betragen im Parterre, so theilt sich dies unwillkührlich dem ganzen Hause mit, weil das Parterre unbestrittendasselbe beherrscht, und man beweist durch diese feine Lebensart eine Achtung für die Kunst, welche den Schauspieler, wie die Zuschauer selbst, gleich ehrt und erhebt, und sogar im Stande ist, einer Bühne mehr oder weniger Credit zu verschaffen, sie hoch zu stellen od. herabzuziehen in den Augen der Welt. Welchen Begriff muß sich ein Fremder von der Bildung eines Publikums, von dem Stand puncte der Kunst und der Künstler machen, wenn er sieht, daß das Schauspielhaus der Sammelplatz abgeredeter Complotte ist? Wenn er, selbst da sich zu erbauen, zu erheben, nicht dazu kommen kann, weil die Comödie im Parterre die Tragödie auf der Bühne übertäubt? Wenn er mit Menschen zusammentrifft, denen er sofort anmerkt, daß sie in’s Theater gingen aus Langeweile, in der Hoffnung, dort einen ebenso müßigen Nachbar zu finden, mit dem sie die Zeit verplaudern können? Und was ist solcher Orte von des Schauspielers Ernst und Streben zu erwarten, den ein Publikum auf diese Weise lange stumpf und gleichgültig gemacht hat und der da oben seine Rolle herbetet, in der Absicht, fertig zu werden u. des Frohndienstes ums tägliche Brod entlassen zu sein! Das ist abermals ein Capitel, in dessen Betrachtung wir uns weit verlieren könnten, ohne es hinlänglich zu erschöpfen. Das Parterre, sagt ein alter Dramaturg, sollte immer mit dem Anstande eines Mannes erscheinen, der bei Entscheidung einer Sache mit seiner Stimme den Ausschlag geben muß; – die Logen werden ihm nicht leicht in dies verjährte Recht eingreifen, u. die Gallerie? Entweder sie schweigt, bellt dem Parterre nach, od. ihr Beifall ist nicht in Anschlag zu bringen, so lange das Parterre schweigt. – Man könnte sich des Beifalls der Gallerie zur Besserung der Schauspieler bedienen, wenn man von da herab applaudirte, während das Parterre sich stille verhielte, wäre dies Lob nicht Ironie, nicht beißender Tadel? – So fürchtet man sich, gegenwärtig von gewissen Recensenten gelobt zu werden, so ist es eine Schmeichelei, in gewissen Zeitungen gar nie erwähnt oder wenigstens getadelt zu werden! – Wie selten aber treffen wir ein Publikum, oder dessen Repräsentant, ein Parterre, welches sich des Rechtes öffentlicher Be- u. Verurtheilung mit dem Anstande eines einsichtsvollen Richters bedient. Fast überall artet es in Mißbräuche aus, fast überall wird es ein Raub der Cabale, Parteilichkeit und jugendlicher Leidenschaften. Anstatt daß man sein Mißfallen an dem Spiele durch tiefes Stillschweigen zu verstehen geben sollte, hat man die Geißeln des Pfeifens u. Pochens erfunden (s. Auspfeifen). Wir glauben nicht, daß durch diese Mittel je ein Schauspieler gebessert worden ist, und wen dies Schicksal einmal getroffen, der kam das nächste Mal, voll Furcht, sich dieser Begegnung noch einmal auszusetzen, gewiß verschlimmerter auf die Bühne, abgesehen von dem Schaden, den man guten Schauspielern zufügt, wenn Cabale ihnen ein ähnliches Schicksal bereitet (vgl. Beruf). Ebenso ist der übertrieben werthlose Beifall, die zur Gewohnheit werdende Auszeichnung verderblich (s. Hervorrufen). Vgl. Beifall, Kritik, Recensent
Recensent
(Von re, wieder u. censere, schätzen)
Eigentlich also Einer, der wiederholt beurtheilt, wird aber für Beurtheiler überhaupt genommen, ebenso Recension für Beurtheilung, – besonders wenn von Gegenständen der Literatur u. Kunst die Rede ist (s. Kritik u. Geschmack). Man verbindet, besonders in Bezug auf das Theater, mit dem Ausdruck Recensent in der Regel eine herabsetzende Bedeutung, zum Unterschiede von Kritiker, mit verschiedenen Modificationen; vielleicht ist Göthe mit seinem „Schlagt ihn todt, den Hund, es ist ein Recensent“ daran Schuld; auf der einen Seite unsinnige, bombastische Lobhudler, auf der andern vornehmthuende, aufgeblasene, hochtrabende, freche Tadler ohne Geist u. Verstand, welche äußerst gnädig zu sein glauben, wenn sie ein abgeschmacktes „recht wacker“ über eine Kunstleistung aussprechen, von deren Werth sie keine Idee haben. Wir haben uns über die Beurtheilungsfähigkeit ausführlich unter Kritik ausgesprochen, u. bitten ganz besonders, gegenwärtigen Artikel nur als Nachsatz von jenem betrachten zu wollen, u. – wir gestehen unsere Schwäche – als eine günstig benutzte Gelegenheit den vielen öffentlichen entrüsteten Stimmen über das unsägliche Recensentenunwesen auch die unsere anzureihen. Es thut wohl, sich auszusprechen über Dinge, welche die Seele mit Lust, aber auch über solche, welche sie mit Abscheu erfüllen. Von dem allgemein verschrieenen Verfall des heutigen Theaters ist ein großer Theil auf Rechnung der feilen Tageskrittler u. des Trosses epidemisch gewordener Correspondenzler u. Notizler zu schreiben, die, wie Jeiteles treffend sagt, in Zeitschriften aller Art, zwar in stereotypen, nichtswürdigen Lobhudeleien, Lorbeeren in Fülle ausstreuen, Alles ungeheuer u. unübertrefflich finden, u. wo nur Thespis Karren rollt, jeden Handwerker Künstler tituliren, wenn auch dessen Leistungen das Stigma der vollendetsten Geistesohnmacht an u. in sich tragen; dies sind aber nur leere Dunstgebilde, eine Fata Morgana, erzeugt im Gehirne schreibsüchtiger Knaben, die, mit dramaturgischer Fackel beleuchtet, gewöhnlich wie Nebel zerfließen, und nur von den, auch das übertriebenste Lob begierig in sich schlürfenden, Komödianten (vgl. Anmerkung) als baare Münze angenommen werden. – Man kann heut zu Tage, wenn man viele Theater u. ihre Mitglieder kennt, ohne Ekel die Massen lügenhafter sogenannter Recensionen nicht mehr lesen, man muß sich mindestens ärgern über die Arroganz, Urtheilsschwäche oder absurde Partheilichkeit der Scribler. Es ist zwar früher auch schon über diesen Unfug geklagt worden; Iffland bemerkt einmal „die gewöhnlichen Recensionen und recensirenden Journale befriedigen – außer Personalität und Neugier – nur wenig und Wenige“[x]; – aber so entartet war die Tageskritik nie, wie sie es gegenwärtig ist. Selbst eine Ueberschwemmung guter u. gesunder Kritiken kann schädlich werden, wenigstens unnütz[xi] um wie viel mehr diese Fluth ausgeströmter Galle des Egoismus und der Parteisucht. – Es ist eine Schande, welche Motive den meisten unserer Recensionen zum Grunde liegen, es ist eine Schande, daß man es duldet, wie die ehrlosen Buben zuweilen Privatverhältnisse an den Pranger stellen, es bleibt wirklich manchmal nichts Anderes übrig, als solche Schufte zu prügeln, oder prügeln zu lassen, wenn man sich nicht selbst die Hand beflecken mag; das müssen sie doch selbst fühlen, u. deshalb verstecken sie sich wie Banditen u. schießen ihre Giftpfeile aus dem Hinterhalte auf den Wehrlosen ab. Dies sind die anonymen R., die feigen, od. die sich ihres Namens schämen! Eine Sorte sogenannter Literaten, welche nichts gelernt haben u. um’s tägliche Brod auf ihre Nebenmenschen schimpfen; wie ein Epigramm, „der bissige Recensent“, sich ausdrückt: – Weil er zu Hause nichts zu beißen hat, – So beißt er Jedermann im Zeitungsblatt.“[xii] Nicht ohne Grund wundert man sich täglich, daß dergleichen persönlichen Ausfällen, dem hirnlosesten Tadel, der nicht selten Einfluß auf die Existenz einer Familie hat, u. dem man die Bosheit an der Stirne liest, nicht zu steuern ist, daß dagegen kein Gesetz in Schutz uns nimmt, u. die sonst doch nicht so nachsichtige Censur Alles dies so unbedingt passiren läßt! – Und welcher Ehrenmann kann sich überwinden, einem arroganten, eingebildeten Taugenichts, der keinen Werth hat als Mensch und Schriftsteller, den Hof zu machen, wie er es verlangt, ihm mit Champagner das ungewaschene Maul zu spülen, oder mit Ducaten die schwindsüchtige Börse zu spicken? Welcher Ehrenmann, fragen wir, nicht welcher Schauspieler, denn leider fehlt es in der neuesten Zeit nicht an evidenten Beispielen, wie Schauspieler von nicht unbedeutendem Renommee die Honorare ihrer Gastspiele ganz darauf verwandt haben, die Recensenten zu erkaufen, was ihnen denn auch gelungen, wie überhaupt Mancher, nur vermöge seines Geldes, zum berühmten Künstler geworden ist (exempla odiosa!)! O Jammer! was soll ein unbemitteltes Talent dagegen thun? Wir sind überzeugt, daß deren vielseitig versteckt sind, u. nur nicht an’s Licht kommen, weil ihnen – die Mittel fehlen, sich öffentliche Stimmen zu erkaufen, oder die Kunst des Speichelleckens! O Schande einer Kunstperiode, in der ein Künstler zu solchen Mitteln greifen muß, um Anerkennung zu finden! Gott besser’s! Möchten die Ehrliebenden sich vereinigen, diesem schändlichen Unwesen, wenn auch mit momentanen Opfern, ein Ende zu machen. Vgl. Claqueurs, s. Kritik u. Einrichten.
Fußnoten
[i] „Der Künstler (Schauspieler, Sänger) bedarf einer eigenen Form des Beifalls, welchen ihm das Publikum zu spenden hat. So wie er dem Moment angehört, das heißt, sowie seine Leistung keine dauernde, so ist auch die Form für deren Würdigung eine augenblickliche. Das Publikum will zeigen, daß es seinen Liebling ehrt. Das Klatschen bei einzelnen Stellen gilt nur für diese, es will seinen Beifall resumiren, noch einmal den sehen, der es entzückt hat – es ruft hervor. Das H. ist also eine Ehre für den Künstler, eine Liebesbezeugung des Publikums. Nun gibt es aber eine Liebe, die schön u. edel, u. eine, die niedrig U. gemein ist. Wer z. B. Alle liebt, liebt wesentlich Keinen. Wer durch H. die Liebe für das ganze Geschlecht an den Tag legen will, wird durch diese schlechte Liebe das H. als ihr Product entehren. Das H. kann daher statt einer Ehre eine Schande werden; denn es ist eine Schande für den Künstler, wenn man in ihm nur das dienstbare Organ des Geschreis sucht, wenn man ihn nur durch H. daran erinnern will, daß er in beständiger Abhängigkeit vom Publikum ist, wenn man, nicht zufrieden damit, ihn in der Rolle besessen zu haben, ihm auch über die Schwelle hinaus zeigen will, daß er erscheinen muß, wenn er gefordert wird. Diese letzte Form hat das H. bei den heutigen theatral. Vorstellungen angenommen. Es ist nicht mehr eine wohl abgewogene Belohnung für Verdienst u. Leistung, die der sinnige Kenner sparsam austheilt, um sie selber u. den Belohnten in Werth u. Achtung zu er halten, es ist vielmehr eine Bekundung, daß man eine Lunge hat, ein Zeichen der besondern Freundschaft für einen Schauspieler, mit dem man trinkt; eine Lust, sich als Publikum geltend zu machen u. im polnischen Reichstage eine Stimme zu haben. Durch dieses jetzt nicht blos beliebte, sond. all gewöhnliche H. Aller wird aber nächstdem bekundet, daß alle Kunstsitte, die einzige Grundlage wahrer Kunstgenüsse verschwunden ist, daß an deren Stelle Anarchie u. Pöbel herrschaft von der einen Seite, Indifferenz von der andern getreten sei, daß das Schauspiel nicht mehr der Tempel einer angebeteten Muse, sondern der Versammlungsort eines ungebundenen Gelages geworden ist, in welchem der Sie ger bleibt, welcher es am längsten aushält. Abzuhelfen ist hier nicht, denn wer kann alle Lungen sequestriren? Aber es wird dahin kommen, daß die Schauspieler beim H. sagen werden: „Es ist ebenso fchmachvoll, gerufen od. nicht gerufen zu werden.“
[ii] Inwiefern es angemessen sei, daß der Schauspieler, wenn er hervorgerufen wird, sich mit dem Publikum gleichsam in eine Conversation einläßt, darüber hat schon Les sing entscheidend abgesprochen. Eine mit dem Ausdruck der Dankbarkeit begleitete Verbeugung ist gewiß die herzlichste u. anständigste Huldigung, die der dramat. Künstler dem Publikum für die Ehre des Hervorrrufens (wenn er es als solche erkennt) darbringen kann. – Es ist nicht zu vermeiden, daß solche Gefeierte gleich nach dem Herabsinken der Gardine am Ende der Vorstellung gerufen, in ihrem vollen Costume der Rolle hervortreten. Wenn nun ein erdolchter ,, Otto v. Wittelsbach“, ein zur Hölle gefahrener ,,Don Juan“ u. eine verklärte ,,Johanna d’Arc“ od. ein entschlafener ,,Antonio Allegri“ geschmückt, gepanzert Mc , gleichsam wie Geister aus der Unterwelt citirt – hinaustreten, ihre heroischen, classischen Reden gegen Alltags – Complimente vertauschen, u. sich in einen hofmännischen Complimenten – Discurs einlassen, wie störend muß eine solche Metamorphose dem Zuschauer sein? – Jede Täuschung, jeder Eindruck des vor der Seele des Zuschauers schwebenden Ideals ist verschwunden. Dieser Mißbrauch, ist aber zur Mode geworden, u. wenn auch das „Cousuetudo altera natura“ hier schwerlich sein Recht behaupten möchte, so würde doch ein Dritttheil des Parterres unzufrieden sein, wenn der Hervorgerufene nicht seine Bedankemichs-Rede halten wollte. – Ein solches Extemporiren, was diese Danksagung doch eigentlich sein soll, es aber selten ist – da man es dem Hervorgerufenen nur zu oft anmerkt, daß er still schweigend auf diese Ehre pränumerirt hat, u. seine Rede wie seine Rolle in der Tasche führt, möchte allein dem Komiker zu gestatten sein. Ihm ist jeder anständige Scherz erlaubt, u. da er selbst auf der Scene sich einen Sprung aus der Ideen – u. Alltagswelt erlauben darf, mag er im mer hin, wenn er gerufen wird, seinen Jokusstab nochmals rütteln. Für alle Uebrigen möge diese Sitte bald zur Unsitte werden, höchstens nach der ersten und letzten Gast- od. Debutrolle in Anwendung kommen. Dann wird so mancher Schauspieler nicht mehr in die Verlegenheit gerathen, seichte, nichts sagende Floskeln, oft nur zur Belustigung d. Publikums, herzusagen, u. so manche confuse Redensarten werden nicht mehr vernommen werden, wenn – der Hervorgerufene noch immer auf denselben Brettern, indem nämlichen Gewande als König, Held, Räuber od. Bauer dastehend – die Scheidewand zwischen ihm u. dem Publikum nicht einstürzte.
[iii] Wenn man die Bühne nicht dem Volke freigeben kann, so soll man sie auch nicht dem Pöbel überlassen, man sollte das Hervorrufen verbieten, wie solches in Wien (im Hoftheater) der Fall ist. Es lähmt nichts mehr den Eifer des Künstlers, als wenn er die feilen Motive erfährt, die diesem od. jenem Lorbeerkranze zu Grunde liegen, denn was das getäuschte Publikum für Enthusiasmus hält, erscheint dem Schauspieler hinter den Coulissen im wahren Lichte.
[iv] Dies bleibt immer eine Tactlosigkeit d. Publ., namentlich aber eine verletzende Nichtachtung gegen geachtete Künstler od. gefeierte Gäste, denen vorher diese Ehre als Auszeichnung zu Theil geworden.
[v] Ein großer Kritiker, behauptet Eckermann mit Recht, ist eben so selten als ein großer Dichter, ja noch seltener; denn wiewohl es leichter ist, etwas zu beurtheilen, als etwas selbst hervorzubringen, so bedarf gegenseitig der Kritiker eine weit größere Manigfaltigkeit von geistigem Vermögen und dessen Ausbildung, als der Dichter. Ein Dichter kann bedeutend, ja groß sein, u. wäre er nichts weiter als ein Liederdichter ºr.; es ist ihm also eine gewisse Einseitigkeit gestellt, wenn er nur in der Gattung, worin er sich bewegt, ausgezeichnet ist, – nicht so der Kritiker, – denn es ist nicht hinreichend, daß er die Leistung eines Geistes gehörig erkenne u. würdige; auch nicht, daß er Alles, was in einer gewissen Gattung je producirt worden, zu schätzen wisse, sondern er muß alles, was in allen Gattungen der Poesie, in den verschiedenen Literaturen hervor gebracht worden ist u. hervorgebracht wird, mit Einsicht zu ermessen u. zu beurtheilen im Stande sein.
[vi] In gleichem Grade nützte Winkelmann für die bildenden Künste; ferner sind zu rühmen die kritischen Arbeiten Göthe’s, Schillers, Herder’s u. in der neueren Zeit August Wilhelm u. Friedrich Schlegel’s, welche der ästhetischen Kritik_neuen Aufschwung gaben. Ausgerüstet mit Kraft u. Wissen traten in ihre Bahnen Tiek, Sulzer u. Wilh. von Humboldt. Von den jüngeren zeichnen sich besonders der heftige Wolfgang Menzel u. der ruhig biedere F. G. Kühne durch kritischen Scharfblick aus.
[vii] „Mein letzter Wink ist“ – spricht Jean Paul zu den Kritikern – ,,beurtheilt, aber viertheilt nicht ein Kunstwerk; zieht aus demselben weder den Plan – denn das heißt das Knochengerippe einer Venus geben, das ebenso gut in einer niedrigen Bauerndirne stecken könnte – noch einzelne Schönheiten – denn das heißt einen Fensterstein als Prüfstein des Hauses vorzeigen, – noch einzelne Fehler – denn es gibt keine schlechte Zeile, die nicht ein guter Autor durch die rechte Stelle zu einer guten machen könnte – und überhaupt nichts Einzelnes. Schlagt ein Schauspiel, das ihr noch nicht gelesen, in der Mitte auf, u. leset irgendeine Stelle; sie muß euch sehr matt vorkommen, behaltet sie (z. B. blos das kleine Wort „moi“ der Medea) in eurem Kopfe, so lange, bis ihr von vorne wie der darauf kommt: Himmel, wie ist u. glüht da alles anders! – Noch mehr gilt dies für das Komische, dessen Einzelnheiten, aus der mildernden Aehnlichkeit des Ganzen in die schreiende Unähnlichkeit einer ernsten Recension erscheinen müssen, wie ein Falstaff in einer Messiade.“
[viii] Es sprach sich hierüber in der neuesten Zeit eine öffentliche Stimme mit vieler Wahrheit aus: „Wir sind der Ansicht, daß es jeder redlich für das Gedeihen der Kunststrebenden Bühnenverwaltung nur angenehm sein kann, wenn sowohl die Mängel, wie die Vorzüge ihres Instituts öffentlich besprochen werden, u. bei den Darstellern sollte billig dasselbe der Fall sein; dennoch gibt es nichts Undankbareres, als über das Theater zu schreiben, u. viele der besseren Kritiker, die sich jahrelang abgemüht hatten, um die Bühne zu unterstützen, haben endlich geschwiegen, weil sie es müde waren, das Danaidenfaß zu füllen; denn von 20 Schauspielern halten sich in der Regel neunzehn ziemlich für ebenso große Künstler wie Roscius, Garrik u. Devrient waren; Tadel u. Zurechtweisungen, welche solche Leute treffen, werden von ihnen gewöhnlich unlauteren Absichten zu geschrieben, u. wird ihnen Lob gespendet, so stecken sie das selbstgefällig in die Tasche, u. sagen wohl noch dabei: Nun, heute hat der Recensent ein Mal einen lichten Augenblick gehabt! Nur wenige Schauspieler sind aufrichtig gegen sich selbst u. benutzen die Winke, welche ihnen gegeben werden; die meisten halten sich von vorn herein schon für fertige Leute, u. betrachten sich gewissermaßen als eine Minerva, die völlig gewappnet aus Jupiters Haupte hervorsprang. Auf solche paßt denn auch Göthe’s Wort: „Wer fertig ist (od. sich fertig dünkt), dem ist nichts recht zu machen, ein Werdender wird immer dankbar sein.“ Und Lessing, der die Schauspieler so durch u. durch kannte, wie nur jemals irgendeiner vor od. nach ihm, äußerte: „Auf die bei weitem größere Mehrzahl derselben findet Folgendes seine Anwendung: Lobt man sie, so ist ihnen des Lobes nie genug – tadelt man sie, so ist auch der kleinste Tadel ihnen schon zu viel. An den wenigsten ist etwas zu bessern.“
[ix] Ueber die Bildung und Zerstörung des öffentlichen Geschmacks, über die wandelbare Gunst des Publikums, womit seine süchtige Laune den Schauspieler heute erfreut, welchen es übermorgen vergessen hat, lassen wir L. Schröder sich aussprechen: „Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß der Theatergeschmack in Deutschland nicht ist, was er einst war. Dichter, Schauspieldirectionen u. Zuschauer haben sich vereinigt, ihn zu dem zu machen, was er ist. Grausame, unnatürliche und Guckkastenstücke sind an die Stelle älterer, besserer Arbeiten getreten, die nur dann besucht werden, wenn ein fremder Schauspieler, dem ein verdientes oder unverdientes Lob vorherging, auftritt. Wenn eine Direction dem guten Geschmacke keine Opfer bringen kann, so sieht er sich genöthigt, solche Mißgeburten, die in anderen Städten Beifall erhielten, aufzuführen; der Schauspieler, lieber vor einem vollen, als leeren Hause spielend, strengt sich in diesen Mißgeburten an, weil, je stärker der Dichter die Unnatur zeichnet, ihm ein desto größerer Beifall zu Theil wird. Das Publikum gewöhnt sich nach u. nach an die Abenteuerlichkeiten, u. da die feineren Stücke ihm Langeweile machen, bleiben hier die Bänke leer. – Kein Publikum in Deutschland hat einen Schauspieler gebildet, wie Unkundige oft behaupten wellen. Daß aber jedes Publikum sich auch an das Schlechte gewöhnt, darüber gibt es Beispiele zur Genüge. Laßt eine gute Gesellschaft eine Stadt verlassen, und ihr eine sehr schlechte folgen, so wird zwar in der ersten Zeit das Mißfallen allgemein sein, allein es werden keine drei Wochen vergehen, so wird es heißen: Ei nun, der, oder die, hat es heute doch nicht übel gemacht. Nach und nach wird mehreren dieses Lob ertheilt werden. Bald hernach wird man hören: Das muß man sagen, dus heutige Stück wurde vortrefflich gegeben, beinahe so gut, als von den Vorigen! – Laßt diese armen Menschen nun das Glück haben, ein Paar sehr gefallende Stüke zu bekommen, so wird der Werth der vorigen Gesellschaft nur noch in dem Gedächtnisse sehr Weniger leben.
Wer hat nicht erfahren, wie bald u. durch wen unersetbare Personen ersetzt wurden! Haben wir nicht erlebt, daß der höchsten Unwahrheit und der Mittel mäßigkeit die Ehre des Herausrufens zu Theil wurde? – Diese unwiderlegbaren Beispiele bereisen, daß der Geschmack des Publikums zu bilden ist, u. gebildet werden muß. Die Direction kann es, durch die Wahl der Stücke u. die Anordnung, der Schauspieler durch die Wahrheit seiner Darstellung.“
[x] Lessing sagt mit Beziehung auf seinen Widersacher Klotz: „Jeder Tadel, den der Kunstrichter mit dem kritisirten Buche in der Hand gut machen kann, ist erlaubt. Aber sobald er verräth, daß er von seinem Autor mehr weiß, als ihm die Schriften desselden sagen können, sobald er sich aus dieser näheren Kenntniß des geringsten nachtheiligen Zuges wider ihn bedient, wird sein Tadel persönliche Beleidigung. Er hört auf Kunstrichter zu sein, und wird das Verächtlichste, was ein vernünftiges Geschöpf werden kann, ein Klätscher, Anschwärzer, Pasquillant.“
[xi] Sehr treffend spricht sich hierüber Gutzkow in folgenden Worten aus: „So wie man auf kurze Zeit das Auge schließt, um den Reiz pitoresker Gegenden, wenn man es wieder öffnet, desto be s ser zu prüfen, so wollen wir einige Zeit hindurch die Leistungen des Theaters bei Seite liegen lassen, um sie später mit erneuetem Interesse in den Kreis unserer Besprechung aufzunehmen. Auch die gewissenhafteste Kritik ermüdet, und nichts ist für diese Art von Geistesthätigkeit, wenn man sie von einem höheren Gesichtspuncte übt, empfindlicher, als die Zumuthung, daß sie mit allen ihren inneren u. äußeren Anregungen doch nur in die Kategorie eines gemeinen Thurmwächters herabsinken solle, der mechanisch , wie die Uhr, jede Stunde abruft. – Und auch der Künstler will einmal frei sein von dieser ewigen Bevormundung seines Talentes, er will einmal etwas auf eigene Hand wagen, und nicht gleich neben jedem Fehler, den er machte, die rothe Tinte des Recensenten sehen.“
[xii] Die Hamburger Thalia von Töpfer enthält folgendes, durch und durch treffende, Stachelgedichtchen: „Junge Pfoten, Gänsekiele, Naseweisheit, dreiste Stirn, Keine Schule, Dünkel, Schulden, großen Schädel, klein Gehirn, Eignes Schlechte zu bemänteln, fremdes Gute plagiiren, Dies gehört, und weiter gar nichts, zu modernem –Recensiren.“

Quelle: Google Books
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