
In meinem Buch „Publikumsschwund?“ hatte ich u.a. die Aufteilung von Eintrittskarten untersucht und dabei festgestellt, dass die Zahlen für die Verteilung von sog. Steuer- oder Gebührenkarten, Freikarten, sowie sonstigen rabattierten Karten in den letzten Jahrzehnten massiv gestiegen sind.
Ich habe diese Zahlen nun bis zur aktuellen Theaterstatistik 2022/23 ergänzt.
Ich beschäftige mich gerade aus gegebenem Anlass (Auflösung folgt) auch mit den österreichischen und Schweizer Besuchszahlen. Die österreichischen und Schweizer Theater melden für die Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins nur die Bezahlkarten. Um die Besuchszahlen in den drei Ländern vergleichen zu können, muss ich für die Bundesrepublik die Besuchszahlen entsprechend anpassen.
Die Daten habe ich folgendermaßen (der Theaterstatistik des Bühnenvereins folgend) so zusammengefasst:
- Tageskarten (voller Preis)
- Rabattierte bezahlte Karten: Abonnements, Besucherorganisationen (BO), rabattierte Schüler- und Studierenden-Karten
- Steuer- und Freikarten etc.: Vorzugs-, Gebühren-, Steuer-, Frei- und sonstige rabattierte Karten
Der Anteil von (3) ist seit 1951/52 von 1,2% auf 17% in der Spielzeit 2022/23 gestiegen.
Hinweis: In mehr als 25 deutschen Städten gibt es mittlerweile Kooperationen zwischen den Hochschulen und den Theatern (und manchmal weiteren Kultureinrichtungen). Durch eine leichte Erhöhung des Semesterbeitrags für alle Studierenden können diese kostenlos Veranstaltungen der beteiligten Kultureinrichtungen besuchen. Ob dadurch mehr Studierende ins Theater gehen als vor diesen Kooperationen, wo es an den meisten Häusern schon immer verbilligte Karten für Schüler:innen und Studierende gab, kann derzeit mangels Daten nicht festgestellt werden. [Ergänzung: Dieses Thema ist deshalb in diesem Kontext von Bedeutung, weil offen ist, ob diese Karten für Studierende als Freikarten gezählt oder in der Rubrik „Schüler- und Studierendenkarten“ verbucht werden.]
Die Entwicklung dieser 3 Bereiche lässt sich am einfachsten so darstellen:

Wenn die ausgegebenen Karten einer Spielzeit jeweils 100% darstellen, ergibt sich für jedes Jahr eine entsprechende Verteilung. Deutlich sichtbar ist der stetige Anstieg der Gruppe (3).
Vielleicht ist es noch einfacher zu erkennen, wenn man den Verlauf der Entwicklung an einer Linie zeigt:

Die blaue Linie für die rabattierten Bezahlkarten zeigt deshalb so stark nach unten, da der Anteil der Abonnementkarten von über 50% auf ca. 16% zurückgefallen ist. Abonnements sichern den Theatern Liquidität, weniger Abos bedeuten: weniger Liquidität. Und: Abos garantieren eine bestimmte Auslastung. Diese mit frei verkäuflichen Karten zu erzielen, ist ungleich schwerer.
Das Ganze auf die absoluten Verkaufszahlen abgebildet, ergibt ein ernüchterndes Bild. Von den ca. 18,5 Mio. Besuchszahlen in 2018/19, der letzten vollständigen vorpandemischen Spielzeit, bleiben nach Abzug von (3) nur 15,5 Mio. bezahlte Besuche übrig, für die Spielzeit 2022/23 sind es dann statt 14,4 Mio. nur 11,9 Mio. bezahlte Besuche.

Diese Zahlen genau zu betrachten, ist nicht nur für die Kultur wichtig, auch für die Stadtplanung oder die Politik, gerade auch in Zeiten immer knapper werdender Budgets. Die Daten der Theaterstatistik werden meist unkommentiert übernommen, auch von den Statistischen Landesämtern. Dabei fällt immer unter den Tisch, dass die Theaterstatistik des Bühnenvereins nur das ist: eine Statistik der Mitglieder des Bühnenvereins.
Daneben gibt es noch zahlreiche andere Anbieter, die hier nicht auftauche:
- Die Interessengemeinschaft der Theater mit Gastspielen (INTHEGA) hat über 400 Mitglieder und veranstaltet Theater in kleineren Städten und in der Provinz
- Die soziokulturellen Zentren
- Die Produktionshäuser
- Privattheater
- Kommerzielle Veranstalter (das Musical „Starlight Express“ steht z.B. regelmässig seit Jahren an der Spitze der Werkstatistik des DBV, kommt aber in der Theaterstatistik nicht vor, ebensowenig wie „König der Löwen“, „Harry Potter“ o.ä.)
- Musikveranstalter
- Kirchenmusik
- Chormusik
- usw.
In meinem Buch habe ich die Idee zu einer allgemeinen Kulturstatistik entwickelt. Dort komme ich bei vorsichtiger Schätzung aufgrund von Verbandszahlen und Zeitungsberichten auf ca. 60 Mio. Kulturbesuche, deutlich mehr als das, was die Theaterstatistik des DBV bietet.
Zuguterletzt noch ein ein Blick auf die absoluten Zahlen mit Abweichungen jeweils zur Vorperiode:

Wenn man sich nur die Abweichungen anschaut, sieht man in diesem 10-Jahresryhthmus nur zwei Abweichungen nach oben: in den 50er Jahren gab es massiv Nachholbedarf nach dem Krieg und 2000/01 sorgt der Zuwachs von fünfeinhalb neuen Bundesländern (inkl. Ost-Berlin) für einen (kurzfristigen) Schub.

Im nächsten Beitrag werde ich mich mit den Unterschieden in der Besuchsentwicklung zwischen Ost- und Westdeutschland beschäftigen und danach mit der Besuchsentwicklung in Österreich und der Schweiz inklusive einem Vergleich der gesamten D-A-CH-Region.
Quellen:
Deutscher Bühnenverein: Theaterstatistik (versch. Bände, zuletzt 2022/23, kostenloser Download der PDF-Datei)
Glaap, Rainer: Publikumsschwund? Ein Blick in die Theaterstatistik seit 1949, Springer 2024
PS: Die hohe Anzahl von Steuer-, Frei- etc. (Gruppe (3)-Karten) könnte man auch zum Anlass nehmen, die Betriebszuschüsse, die der Bühnenverein in der Theaterstatistik pro Platz angibt (s. das Kapitel dazu in meinem Buch) neu zu berechnen – nämlich nur auf die Plätze mit den Bezahlkarten. Das würde die Kosten pro Platz sicherlich erhöhen. Aber das ist ein weiteres Projekt. [nach Veröffentlichung ergänzt]
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