in Publikumsschwund

Nicht-Besucherforschung – Die Förderung kultureller Teilhabe durch Audience Development

Lieber Glotzen als ins Theater gehen?! Foto von form PxHere

Mit seiner Dissertation “Nicht-Besucherforschung” hat Thomas Renz [heute Mitarbeiter im Institut für kulturelle Teilhabeforschung, kurz IKTF, Berlin] ein neues Kapitel in der Besucherforschung aufgeschlagen. Die Besucher sind schon vielfach befragt und studiert – das ist ja auch ganz einfach – denn sie sind schon da, in der Kultureinrichtung.

Viel aufwendiger ist es herauszufinden, was Nicht-Besucher davon abhält, ins Museum, die Oper, das Theater oder das klassische Konzert zu gehen. 

Diese Frage stellt sich nicht zuletzt die (Kultur-)Politik, die in Zeiten knapper werdender öffentlicher Mittel genau beobachtet, wie viele Menschen die überwiegend aus Steuergeldern finanzierten kulturellen Angebote nutzen – und wie viele eben nicht. Der ebenfalls drückende demografische Wandel wird hier sicher in den kommenden Jahren zu Einsparungen führen, wenn nicht deutlich mehr Menschen angesprochen werden können als bisher.Renz legt mit seinem Buch eine der ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Nicht-Besucherforschung vor. Er stellt den historischen Kontext der (Nicht-)Besucherforschung in einer Sekundäranalyse her, betrachtet Audience Development als Methode zur Besuchergewinnung im Kräftespiel zwischen Marketing und Politik und erforscht in Interviews ausführlich die Motivation des Gelegenheitsbesuchers von Theatern.

In diesen Interviews erklären 24 Befragte in unterschiedlichen Lebensphasen, warum sie Kultureinrichtungen nicht (mehr) besuchen oder noch nie besucht haben. Frühkindliche Theatererfahrungen sind noch grundsätzlich positiv, danach folgt im Deutschunterricht das intellektuelle Interpretieren mit dem Schwerpunkt der rationalen Erfassung des Textes, was häufig zu einem Negativerlebnis beim Theaterbesuch führt, weil die Diskrepanz zwischen Text und („moderner“) Inszenierung unüberbrückbar erscheint und weitere Theatermittel wie Bühne, Licht, Kostüme nicht eingeordnet werden können – der Besucher verlässt die Aufführung oftmals mit dem Gefühl, er habe nichts verstanden.

Bei der Preispolitik in Form von Rabatten oder sonstigen Nachlässen sieht Renz keinen Handlungsbedarf, denn Befragungen zeigen auf, es werden zwar gelegentlich zu hohe Preise als Barriere für den Besuch benannt. Eine nähere Betrachtung stellt diese Gründe aber als vorgeschoben dar, zumal i.d.R. Unkenntnis über die tatsächlich bestehenden Preise nachweisbar ist.

Abschließend untersucht Renz mögliche Konzepte für mehr Teilhabe in der Kultur und leitet daraus entsprechende Strategien für Kulturpolitik und -einrichtungen ab:

  • Mehr Vermittlungsarbeit (Einführungen, Publikumsgespräche, Fokusgruppen („Audience Development“)
  • Neue Spielstätten und Kontaktorte, z. B. in den Stadtteilen
  • Partizipative Formate, die Menschen einbinden, anstatt ihnen ein Bildungserlebnis “vorzusetzen”
  • Programmatischer “Brückenschlag” von den Kultureinrichtungen zu den Nicht-Besuchern mit deutlicher Rücksichtnahme auf Menschen mit mehr Unterhaltungsbedürfnis

Ein sehr lesenswertes Buch für Kulturpolitiker und Marketing-Verantwortliche in Kultureinrichtungen.

Nicht-Besucherforschung. Thomas Renz, transcript-Verlag (2016)

Diese Rezension ist zuerst in den Kulturpolitischen Mitteilungen III/2016 (leicht gekürzt) und im FORUM 2/2016 erschienen.


Entdecke mehr von Publikumsschwund

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Schreibe einen Kommentar

Kommentar