Die Bundestheater-Holding in Wien hat ihren Geschäftsbericht für die Spielzeit 2022/23 veröffentlicht. Das ist schnell. Ähnliche Auswertungen anderer Theater in Deutschland sind eher selten. Hier wartet man (sofern man von „warten“ sprechen kann) auf die Theaterstatistik 2022/23, die voraussichtlich Anfang 2025 erscheinen wird (eben erschienen: die Theaterstatistik 2021/22, wir berichteten).
Die Bundestheater-Holding liefert – vorbildlich umfangreich – einen Rückblick mit vielen Daten und Fakten. Die Sitzplatzauslastung in der Pressemeldung so in den Fokus zu stellen, finde ich ein bisschen problematisch, da die Auslastung wenig über die tatsächlichen Besuche aussagt.
Im Rahmen des heutigen Pressegesprächs hat der Geschäftsführer der Bundestheater-Holding,
Christian Kircher, den Geschäftsbericht zur Saison 2022/23 veröffentlicht. Die Spielzeit stand im Zeichen der Rückkehr zur Normalität. Die Wiener Staatsoper und die Volksoper Wien konnten mit einer Sitzplatzauslastung von 97,8 % und 78 % an die Erfolge der Vor-Corona-Zeit anschließen.
Im Sprechtheater stellten Krankenstände, Vorstellungsabsagen und Umbesetzungen weiterhin große Herausforderungen dar. Trotz dieser Unwegsamkeiten liegt das Burgtheater im internationalen Vergleich bei den Besucher:innenzahlen im Spitzenfeld. Insgesamt konnten bei den Österreichischen Bundestheatern 1.202.505 Besucher:innen (Vorjahr 890.539) in 1.549 Vorstellungen (Vorjahr 1.354) begrüßt werden.
Beispiel: Wurde während der Pandemie das Platzangebot von 1.000 auf 100 begrenzt und es wurden 100 Karten verkauft, erhalten wir eine Auslastung von 100%. Ohne Corona-Einschränkungen (und sonstige Sperrungen) stünden 100 verkaufte Karten nur für 10% Sitzauslastung.
Im Geschäftsbericht werden natürlich auch die Besuchszahlen genannt inkl. der Vergleichszahlen zur Spielzeit davor. Da diese aber noch massiv von Corona beeinflusst war, ist die eigentliche Maßzahl für Vergleiche die letzte vollständige vorpandemische Spielzeit 2018/19. Ich habe daher die Zahlen bis zurück zu dieser Spielzeit ausgewertet.
Hier ein Blick auf die Auslastung von Staatsoper, Volksoper und Burgtheater seit 2018/19 (erst die Tabelle, dann die grafische Auswertung):


Die Besuche ab 2018/9 stellen sich folgendermaßen dar (erst die Tabelle, dann die grafischen Auswertungen):


Zur besseren Übersichtlichkeit folgen jetzt noch die prozentualen Abweichungen der Spielzeiten seit 2018/19 in Bezug zu dieser.

Bei der Staatsoper sehen wir in der ersten Grafik eine Auslastung von 97,8% für 2022/23, die nur 0,6% unter der Auslastung der Referenzspielzeit liegt. Bei den absoluten Zahlen der Besuche liegt sie aber noch 9,4% (- 58.785 Besuche) unter den Besuchszahlen von 2018/19. Diese Differenz lässt sich aus den Zahlen nicht wirklich erklären, möglicherweise handelt es sich um unterschiedliche Sitzplatzangebote durch Sperren, die Auslastungszahl ist ja relativ.
Die Volksoper liegt nur noch 3% unter den Besuchen in der Referenzspielzeit.

Das Burgtheater allerdings liegt mit -20,9% rund ein Fünftel unter der Referenz-Spielzeit. Im internationalen Vergleich durchaus im Rahmen, viele Häuser klagen über einen Rückgang von 10-20%. Eine Auslastung von 69,4% für die Spielzeit 2022/23 ist allerdings für das Flaggschiff des österreichischen Theaters nicht besonders viel. 2018/19 lag sie noch bei 82,2%, in der Spielzeit 2002/03 bei 83,4%.

Im österreichischem Standard heißt es allerdings zur Auslastung im Burgtheater:
Im Vergleich zu anderen Häusern im deutschsprachigen Raum zähle das Burgtheater zu den erfolgreichsten Sprechtheatern. Beutler nannte die 82,2 Prozent Burgtheater-Auslastung der letzten Nicht-Corona-Saison 2018/19 als nicht ganz aussagekräftig und bezifferte die Durchschnittsauslastung der Direktion Karin Bergmann auf 78 Prozent.
Robert Beutler ist der kaufmännischer Geschäftsführer des Burgtheaters (aus dem Standard)
Das digitale Angebot des Burgtheaters
Ein Wort noch zum digitalen Angebot des Burgtheaters (in der Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins mittlerweile für zwei Spielzeiten – s. Blogbeitrag):
Im gesonderten Geschäftsbericht des Burgtheaters werden mehrere Seiten mit digitalen Veranstaltungen gelistet, hier gibt es vielfältige und regelmäßige Aktivitäten. Besuchszahlen pro Veranstaltung werden nicht genannt, statt dessen heißt es pauschal am Ende des Kapitels:
- Aktives digitales Publikum: ca. 200 Personen, die regelmäßig und aktiv an partizipativen digitalen Live-Formaten teilnehmen (z. B. WERK IM FOKUS)
- ca. ein Drittel davon lebt im Ausland (USA, Norwegen, Italien, Deutschland) bzw. kommt aus den österreichischen Bundesländern
- 41 % davon nutzen keine Social-Media-Kanäle
- jede*r zweite digitale Besucher*in kauft nach der Teilnahme eine Karte für eine analoge Vorstellung
Alle drei Häuser berichten über ihre Social Media Aktivitäten und nennen die Zahlen ihrer Follower in ihren jeweiligen Geschäftsberichten. Die beiden Opernhäuser berichten nicht von gesonderten Streaming-Angeboten, berichten aber ausführlich über Ausstrahlungen auf ORF und myfidelio.at (ein Angebot des ORF, seit dem 30.11.2023 wegen gesetzlicher Vorschriften eingestellt).
Fazit
Insgesamt muss man natürlich feststellen, dass die Corona-Jahre tiefe Spuren in der gesamten Theaterlandschaft hinterlassen haben. Ob und wann das bis heute teils noch fehlende Publikum wiedergewonnen werden kann, werden erst die kommenden Geschäftsberichte bzw. Theaterstatistiken zeigen.
Quellen:
- Bundestheater-Holding, Geschäftsbericht 2022/23, Februar 2024
- Burgtheater Geschäftsbericht 2022/23
- Theaterstatistik 2003/4, Deutscher Bühnenverein
- „Bundestheater „über Folgen des Ausnahmezustands weitgehend hinweg„, Der Standard, 16.2.2024
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