
Ein langer Abend in München am letzten Freitag: von 18 bis 24 Uhr drei Podien hintereinander zur Lage bin Theater und Publikum: erst kam das Publikum zu Wort, dann die Intendant:innen, dann die Schauspieler:innen. Sechs Stunden insgesamt. Die Veranstaltung ging zurück auf eine Idee des FAZ – Theaterkritikers Simon Strauss (leider wegen Krankheit abwesend) und wurde unterstützt von Nachtkritik. Die eingeladenen Münchner Kulturpolitiker hatten ebenfalls aus Krankheitsgründen abgesagt, Ersatz konnte nicht gestellt werden.
Ich gestehe: nach vier Stunden online habe ich mich ausgeklinkt.
Nicht so der Berichterstatter der Süddeutschen Zeitung, Egbert Tholl.
Die Publikumsvertreter:innen kamen aus Eisenach, Dresden, München und Zürich, gehörten deutlich der gebildeten Mittelschicht an, gingen zum Teil schon 50 Jahre regelmäßig ins Theater und die Oper und waren begeisterte Theaterbesucher:innen. Von Diversität keine Spur, übrigens auch nicht im Saal.
Die zweite Runde bestand aus den Münchner Theater-Intendant:innen Barbara Mundel, Kammerspiele, Andreas Beck, Residenztheater, und Jochen Schölch vom (mit 180 Plätzen eher kleinen) Metropoltheater. Barbara Mundel hatte erstaunlicherweise keine Auslastungszahlen parat (oder wollte sie nicht nennen), Andreas Beck nannte 86% und Jochen Schölch spach von quasi Vollauslastung. Barbara Mundel beklagte sich über das Publikum, es sei nicht aufgeschlossen genug und verweigere sich dem neuen, das war fast schon eine Publikumsbeschimpfung statt einer Publikumsbegrüssung…
Nicht(mehr)-Besucher:innen kamen nicht zu Wort, auch fehlten empirisch belastbare Zahlen zum beklagten Publikumsschwund aus der Nicht-Besucherforschung, wie sie z.B. das IKTF in Berlin betreibt.
Die Veranstaltung wurde (mit einigen technischen Schwierigkeiten in der ersten Stunde) live von Nachtkritik.de übertragen. Im mitlaufenden Chat wurde u.a. die Auswahl der Podiumsteilnehmer:innen als zu wenig divers kritisiert, ebenso wie die Auswahl von ausschließlich Münchener Theatern-Intendant:innen.
Das Fazit in der SZ:
Bleibt als Resümee dieses überbordenden, nicht auf ein Ziel hin ausgerichteten Abends: Die Leute lieben Theater, sie lieben Schauspieler, sie wollen aber gemeint sein, nicht veräppelt werden. Sie wollen auch keine kunstfernen Welterklärungsdiskurse. Liebe Bühnenhäuser, besinnt euch auf euren Stolz- und macht das, was ihr am besten könnt: Theater. Dann klappt es auch mit dem Publikum.
Quelle (Paywall):
PS: Der Münchner Merkur berichtet: „In Anlehnung an Peter Handke gab’s dann aber auch jede Menge freundliche Beschimpfung. Ein Glück! Munter wurde an diesem Debattenabend klar und ohne Heititeiti-Drumherumgerede diskutiert, was getan werden muss, damit die deutschsprachigen Bühnenhäuser Orte der kritischen Auseinandersetzung, des Denkens, Fühlens, auch: der Unterhaltung für möglichst viele Menschen bleiben.“
PPS: Auch die Abendzeitung berichtet ausführlich und schließt: „Joyce Sanhá, Neuzugang im Ensemble der Kammerspiele, stellte freimütig fest, dass ihr schon klar sei: „Die Diversität bin ich!“ Aus dem Internet kam wiederum die Kritik, dass die Zusammensetzung der Panels nicht divers genug sei. Wie die verschiedenen Ansprüche verschiedener Generationen vereinbar sind, wie die Theater vielleicht wieder voll werden – das konnten auch sechs Stunden Diskussion nicht klären. Aber ein breites Meinungsspektrum kam zum Vorschein. Und die Hoffnung stirbt zuletzt. Wie sagte es Michael Maertens? „Auf Dauer ist es doch nicht befriedigend, immer zu Hause zu sitzen.““
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