in Publikumsschwund

“Was wollt Ihr?” Schwerpunkt Publikum / Die deutsche Bühne 1/23

Die deutsche Bühne, Titelbild 1/2023

“Was wollt Ihr?” – Der Schwerpunkt DB 1/2023 ist die Frage nach dem Theaterpublikum. In mehreren Beiträgen wird das Thema ausgeleuchtet.

Gesprächsrunde

Unter dem Titel “Wer seid Ihr – und wenn ja, wie viele?” moderiert die DB ein Gespräch mit einer Theatervermittlerin, der Vertreterin einer Zuschauerorganisation, einem Intendanten und einer Zuschauerin. Richtig konkret kann es in so einem Gespräch nicht werden, dafür wurden zu viele subjektive Erkenntnisse ohne empirische Unterfütterung berichtet. 

Anett Kaplan, die Zuschauerin als Vertreterin des Publikums, berichtet aber (und das bestätigt viele empirische Erkenntnisse), dass sie immer wieder um Empfehlungen im Bekanntenkreis gebeten werde, weil viele Menschen mit wenig oder keiner Theatererfahrung unsicher sind, ob das Theater zu ihnen passe, ob ihnen das Stück gefallen werde, oder ob sie die Inszenierung verstehen werden. [NB: Das erklärt auch den großen Erfolg von Musicals: es gibt kein Risiko, Handlung, Musik und Qualität sind ausreichend bekannt, ein Besuch im “König der Löwen” kann kaum schief gehen.] Auch könne ein Theaterbesuch kaum am Geld scheitern, denn: 

“Phantasialand brummt, für Kindergeburtstage wird enorm viel Geld ausgegeben. Aber was wollen die Leute? Ich erlebe: Sie wollen etwas Beeindruckendes erzählen können.”

Anett Kaplan, Zuschauerin

Viele wichtige Gesichtspunkte werden kurz angesprochen, aber nicht vertieft, obwohl sie es verdient hätten:

  • die Eventisierung (die Leute wollen etwas Beeindruckendes erzählen können, s.o.)
  • Social Media – es folgen im Wesentlichen die Kollegen:innen, nicht das Publikum
  • Architektur – Schwellenangst vor den imposanten Gründerzeitbauten mit Säulenvorbauten
  • Altersstruktur – so betreut die Theatergemeinde Köln überwiegend Schüler:innen und Renter:innen (“Das ist eine große Herausforderung [die Alterlücke], auf die wir momentan keine Antwort haben”), sagt die Vertreterin der Theatergemeinde, Manuela Jacobs.)

Dieser Beitrag ist als Leseprobe für das Heft vollständig online verfügbar.

Fragebogenaktion am Kölner Schauspiel “Wünsche des Publikums”

Wie viele Fragebögen ausgegeben wurden, wird im Beitrag nicht verraten, daher ist die Rücklaufquote nicht bekannt. Immerhin 100 ausgefüllte Fragebögen wurden zurückgegeben.  Befragt wurden Besucher:innen von 8 Inszenierungen und einer Info-Veranstaltung für Abonnent:innen (die sicher noch mal einen ganz besonderen Bias in Richtung Theater haben). Die Umfrage ist damit natürlich alles andere als repräsentativ.

Gefragt wurde u.a. nach der Motivation für den Theaterbesuch:

  • 29% wegen für bestimmte Schauspieler:innen
  • 31% kommen wegen bestimmte Regisseur:innen
  • 60% kommen wegen bestimmter Stücke (die Abonnentinnen muss man hier ausnehmen, die haben Theater im Paket gekauft).
  • 40% finden es wichtig, dass Vorstellungen gut besucht sind

Die Zuschauer:innen informieren sich:

  • 38% über die Website des Theaters
  • 35% über den gedruckten Spielplan
  • 21% über den Newsletter
  • 13% über Social Media (so viel zu Twitter und TikTok) 
  • 10% über Printmedien 
  • 3% über Plakate 
  • 0% nennen Rundfunk- oder TV-Beiträge
Startseite der Volksbühne
Das Wichtigste auf den ersten Blick: Was wird heute gespielt?

Inhaltlich gibt es klare Vorstellungen: 

  • 76% finden die Abhandlung gesellschaftlicher Themen ausschlaggebend und 
  • 41% antworten mit “Nein” auf die Frage “Wollen Sie von einem Theaterabend primär unterhalten werden?” (und 35% mit “Ja”)

Und btw: Interaktivität (Mitspielen) will faktisch niemand: glasklare 96% antworten auf die Frage nach dem Wunsch an Beteiligung mit “Nein”.

Der Kritiker und das Publikum

Unter der Überschrift “Wir und die” macht sich Redakteur Andreas Falentin Gedanken über das Verhältnis von Kritiker:innen und Zuschauer:innen und stellt fest, dass sie wohl Paralleluniversen bewohnen… Möglicherweise sehen sie zwar die gleiche Inszenierung, die Blickwinkel können sich allerdings fundamental voneinander unterscheiden …

Mein Fazit

Der vieldiskutierte #Publikumsschwund war erstaunlicherweise kein Thema für diesen Schwerpunkt der “Deutschen Bühne”. Es wurde nicht angesprochen, obwohl das vielerorts immer noch sichtbare Phänomen der Auslöser für die Themensetzung war – der #Publikumsschwund ist quasi der “Elefant im Raum”.

Die Antworten sind anekdotisch. Der empirische Anspruch der Kölner Untersuchung wird nicht erfüllt, zu unklar sind die Parameter (die Rückmeldungs-Quote bleibt unbekannt) und die Gesamtheit der Antworten ist einfach zu gering (100, wovon 6 ungültig waren). Zudem kam wohl eine hohe Zahl der Rückmeldungen aus einer Info-Veranstaltung für Abonnent:innen.

Fachkräfte aus der (Nicht)- Besucherforschung wurden nicht interviewt, es wurden auch keine Erkenntnisse aus entsprechenden Untersuchungen, z.B. des Instituts für kulturelle Weiterbildung (IKTF) in Berlin dargestellt. 

Schade.

Quelle: Die Deutsche Bühne 1/2023, Schwerpunkt Publikum (im Webshop käuflich erwerbbar)


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